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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbo
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umgetauft, dann als Sanatorium und schließlich
als psychiatrische Klinik bezeichnet worden war. Die Bezeichnung blieb immer
nur so lange, bis der Durchschnittsbürger kapiert hatte, dass es sich um eine
Klinik für Verrückte handelte. Ich habe diese Wortklaubereien nie verstanden.
Anscheinend waren die Leute, die für diese Bezeichnungen verantwortlich waren,
der Auffassung, dass die Menschen nichts weiter als voreingenommene Idioten
sind, die man möglichst hinters Licht führen muss. Nicht, dass sie damit nicht
auch mal recht haben könnten, aber trotzdem war es irgendwie befreiend, die
Frau hinter der Glasscheibe am Empfang Klartext reden zu hören:
    »Sie
müssen nach unten in die Leichenhalle, Bratli.«
    Offenbar
war es in Ordnung, eine Leiche zu sein. Niemand scheint sich daran zu stören,
als Leiche bezeichnet zu werden, dabei gibt es doch auch zwischen Toten
Qualitätsunterschiede. Machte es wirklich nichts, durch das Wort »Leiche« auf
ein Stück Fleisch reduziert zu werden, dessen Herz zufällig nicht mehr schlägt?
Oder lag es einfach daran, dass die Leichen ihre Minderheitenrechte nicht
einklagen konnten, da sie sich in trauriger Überzahl befanden?
    »Dahinten
die Treppe runter«, sagte sie und bedeutete mir mit dem Arm die Richtung. »Ich
rufe unten an und melde Sie an.«
    Ich
folgte ihren Anweisungen. Meine Schritte hallten zwischen den kahlen, weißen
Wänden wider, sie waren das Einzige, das die Stille durchbrach. Ganz hinten in
einem langen, schmalen weißen Kellergang stand ein Mann in einem grünen
Krankenhauskittel in der Tür. Er hätte Chirurg sein können, aber seine
übertrieben entspannte Haltung und vielleicht auch sein Bart verrieten mir,
dass er etwas weiter unten in der Hierarchie einzuordnen war.
    »Bratli?«,
rief er so laut, dass es mir wie eine ganz bewusste Beleidigung all jener
vorkam, die hier im Keller schliefen. Die Worte echoten beängstigend im Gang.
    »Ja«,
sagte ich und hastete zu ihm, um zu vermeiden, dass er mir noch mehr zurief.
    Er
hielt mir die Tür zu einem kleinen Raum auf, anscheinend eine Garderobe, und
ich trat ein. Der Mann ging zu einem Schrank und öffnete ihn.
    »Jemand
vom Kriminalamt hat hier angerufen und gesagt, dass Sie die Sachen der
Monsen-Jungs holen wollen«, sagte er, noch immer mit übertrieben lauter Stimme.
    Ich
nickte. Mein Puls ging schnell, aber er raste nicht so, wie ich befürchtet
hatte. Immerhin befand ich mich in einer kritischen Phase, am Schwachpunkt
meines Plans.
    »Und
wer sind Sie?«
    »Ein
Vetter«, sagte ich ganz locker. »Die Angehörigen haben mich gebeten, ihre
Kleider zu holen. Nur die Kleider, nicht die Wertsachen.«
    Ich
hatte mich bewusst für »Angehörige« entschieden. Mag sein, dass sich das
formell anhörte, aber da ich nicht wusste, ob die Monsen-Zwillinge verheiratet
waren oder ob ihre Eltern noch lebten, musste ich Worte benutzen, die alle Möglichkeiten
offenließen.
    »Warum
nimmt Frau Monsen die denn nicht selber mit?«, fragte der Mann. »Sie kommt doch
gegen zwölf.«
    Ich
schluckte. »Vermutlich scheut sie sich, wegen all dem Blut.«
    Er
grinste. »Und Sie nicht?«
    »Nein«,
sagte ich einfach und hoffte inständig, dass er nicht noch mehr Fragen stellte.
    Der
Angestellte der Gerichtsmedizin reichte mir ein Formular, das auf einer
Schreibunterlage befestigt war. »Sie müssen hier unterschreiben.«
    Ich
kritzelte ein R und eine Wellenlinie, gefolgt von einem B und einer ähnlichen
Welle, die ich mit einem i-Punkt abschloss.
    Der
Mann blickte nachdenklich auf die Unterschrift. »Haben Sie Ihren Ausweis dabei?«
    Das
hatte ich befürchtet. Mein Plan drohte in die Brüche zu gehen.
    Ich
klopfte mir auf die Hosentaschen und setzte ein bedauerndes Lächeln auf: »Oh,
ich glaube, ich habe meine Brieftasche im Auto unten auf dem Parkplatz liegen
lassen.«

»Sie
meinen oben auf dem Parkplatz?«
    »Nein,
unten. Ich habe unten beim Forschungszentrum geparkt.«
    »So
weit unten?«
    Ich
sah sein Zögern. Natürlich hatte ich auch das einkalkuliert. Sollte ich
fortgeschickt werden, um meinen Ausweis zu holen, würde ich einfach abhauen.
Das war keine Katastrophe, nur erreichte ich dann nicht, wofür ich gekommen
war. Ich wartete. Und hörte schon bei den ersten beiden Worten, dass sein
Entschluss zu meinen Ungunsten ausgefallen war.
    »Sorry,
Bratli, aber wir müssen uns hier an die Vorschriften halten. Nehmen Sie es mir
nicht übel, aber Mordfälle ziehen immer wieder die seltsamsten Gestalten an.
Mit den abstrusesten

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