Headhunter
Se-unden.«
Ich
wollte nicht. Mein Körper protestierte, und mein Hirn verlangte von mir, mich
zu weigern und möglichst schnell das Weite zu suchen. Schließlich war ich
wieder am Leben. Ich - das heißt die Plastiktüte, die ich in der Hand hatte -
war eine Person, deren Bewegungen sich jetzt wieder auf Clas Greves GPS-Tracker
abzeichneten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er die Jagd wieder aufnehmen
würde, ich roch die Hunde bereits und spürte Panik in mir aufkeimen. Ein
anderer Teil meines Hirns aber - der Teil mit der neuen Stimme - sagte mir,
dass ich mich nicht weigern durfte, wollte ich kein Misstrauen wecken. Außerdem
sollte es nur ein paar Sekunden dauern.
»Selbstverständlich«,
sagte ich und lächelte weiter, bis mir bewusst wurde, dass dieses Lächeln eine
recht unpassende Reaktion auf die bevorstehende Identifikation der Leichname
meiner Verwandten war.
Wir
gingen den gleichen Weg zurück, den ich gekommen war.
Der
Gerichtsmediziner im Keller nickte mir lächelnd zu, als wir durch die Garderobe
gingen.
»Sie
sollten sich darauf vorbereiten, dass die Verstorbenen übel zugerichtet sind«,
sagte Sperre und öffnete eine schwere Metalltür, durch die wir in die
Leichenhalle gelangten. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Der ganze Raum
weckte Assoziationen an das Innere eines Kühlschranks: weiße Wände, weiße
Decken, weißer Fußboden, die Temperatur betrug wenige Grad über null, und es
roch nach Fleisch, dessen Verfallsdatum längst abgelaufen war.
Die
vier Leichen lagen nebeneinander auf Metalltischen. Nur die Füße ragten unter
den weißen Laken hervor. Überrascht stellte ich fest, dass es stimmte, was man
in so vielen Filmen sah: Jeder Tote war mit einem Metallschild gekennzeichnet,
das an einem seiner großen Zehen hing.
»Sind
Sie bereit?«, fragte Sperre.
Ich
nickte.
Er
zog zwei Laken schnell und elegant wie ein Zauberkünstler beiseite.
»Verkehrsunfälle ...«, sagte der Polizist und wippte auf den Füßen, »... sind
häufig schlimm. Da fällt die Identifikation schwer, wie Sie sehen können.« Es
kam mir mit einem Mal so vor, als spräche Sperre auffallend langsam.
»Eigentlich hätten fünf im Auto sitzen sollen, wir haben aber nur diese vier
Körper gefunden. Vermutlich ist der fünfte in den Fluss geschleudert und
abgetrieben worden.«
Ich
starrte, schluckte und atmete heftig durch die Nase. Gespielt natürlich. Denn
selbst nackt sahen die Monsen-Zwillinge jetzt deutlich besser aus als im
Autowrack. Außerdem stank es hier drinnen nicht so. Keine Körpergase, keine Exkremente,
kein Geruch nach Blut, Benzin oder menschlichen Eingeweiden. Mir war inzwischen
klar geworden, dass optische Eindrücke überschätzt werden, Geräusche und
Gerüche terrorisieren die Wahrnehmung viel effektiver. Wie der knirschende
Laut, der entsteht, wenn der Hinterkopf einer toten Frau, der man gerade durchs
Auge geschossen hat, auf dem Parkett aufschlägt.
»Das
sind die Monsen-Zwillinge«, hauchte ich.
»Ja,
zu dem Schluss sind wir auch schon gekommen. Die Frage ist nur ...«
Sperre
machte eine lange - eine wirklich lange - Kunstpause. Mein Gott.
»Welcher
ist Endride und welcher Eskild?«
Trotz
der winterlichen Temperaturen im Raum brach mir der Schweiß aus. Sprach er
absichtlich so langsam? War das eine neue Verhörmethode, die ich noch nicht
kannte?
Mein
Blick glitt über die nackten Körper und fand, wonach ich Ausschau gehalten
hatte. Die Wunde, die sich von den Rippen über den Bauch zog, klaffte noch
immer. An den Rändern hatten sich schwarze, blutige Krusten gebildet.
»Das
ist Endride«, sagte ich und zeigte auf den Leichnam. »Der andere ist Eskild.«
»Hm«,
sagte Sperre zufrieden und machte sich eine Notiz. »Sie müssen die Zwillinge
sehr gut gekannt haben. Nicht einmal ihre Kollegen, die hier waren, konnten
einen Unterschied erkennen.«
Ich
antwortete mit einem betrübten Nicken. »Die Zwillinge und ich standen uns sehr
nah. Vor allem in der letzten Zeit. Kann ich jetzt gehen?«
»Ja,
natürlich«, sagte Sperre, machte sich aber noch weitere Notizen, so dass ich
nicht einfach verschwinden konnte.
Ich
blickte auf die Uhr hinter seinem Kopf.
»Eineiige
Zwillinge«, sagte Sperre und schrieb gnadenlos weiter. »Ironie des Schicksals,
nicht wahr?« Was zum Teufel schrieb er denn da? Der eine war Endride, der
andere Eskild, dafür musste man doch nicht so viele Worte machen?
Ich
wusste, dass ich einen Fehler machte, fragte aber trotzdem. »Wieso Ironie
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