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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbo
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mussten. Aus diesem Grund konnte ich Greve mit
dem gleichen gemessenen, naiven Hass zum Tode verurteilen, mit dem auch die
überzeugt christlichen Amerikaner ihre zum Tode Verurteilten zur Schlachtbank
führten.
    Dieser
Hass war in vielerlei Hinsicht ein klärendes Gefühl. So brachte er mich zum
Beispiel zu der Erkenntnis, dass das, was ich für Vater empfunden hatte, gar kein
Hass gewesen war. Wut? Ja. Verachtung? Vielleicht. Mitleid? Definitiv. Und
warum? Es gab viele Gründe, sicher. In erster Linie beruhte meine Wut aber wohl
darauf, dass ich mir tief in meinem Inneren eingestehen musste, so wie er zu
sein oder so wie er zu werden: ein versoffener, ärmlicher, prügelnder Ehemann,
der restlos davon überzeugt war, dass der Osten nun mal Osten ist und niemals
Westen werden kann. Jetzt war ich also wie er geworden, endgültig und ohne
Abstriche.
    Das
Lachen stieg in mir hoch, doch ich tat nichts, um es aufzuhalten. Bis es
zwischen den Baumstämmen hallte, ein Vogel von einem Zweig aufflog und ich
unten auf der Straße ein Auto kommen sah.
    Einen
silbergrauen Lexus GS 430.
    Er
war schneller, als ich gedacht hatte.
    Ich
stand auf und ging hinunter zu Ove Kjikeruds Haus. Als ich auf der Treppe stand
und den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, sah ich auf meine Hand. Das
Zittern war kaum zu sehen, aber ich bemerkte es.
    Das
waren die Instinkte, die Ur-Furcht. Clas Greve war das Raubtier, das die
anderen Tiere das Fürchten lehrte.
    Ich
traf das Schlüsselloch beim ersten Versuch, öffnete die Tür und ging schnell in
die Wohnung. Es stank noch immer nicht, aber das Fenster war ja auch die ganze
Zeit offen gewesen. Ich setzte mich aufs Bett, ganz nach hinten, so dass ich
mit dem Rücken am Kopfteil lehnte. Dabei achtete ich darauf, dass die Decke den
neben mir liegenden Ove ganz verbarg.
    Ich
wartete. Die Sekunden tickten dahin. Mein Herzschlag ebenfalls. Zwei Schläge
pro Sekunde.
    Clas
Greve war natürlich vorsichtig. Er wollte sich versichern, dass ich allein
war. Doch er wusste jetzt, dass ich nicht so ungefährlich war, wie er zu Anfang
angenommen hatte, auch wenn ich jetzt allein war. Zum einen hatte ich vermutlich
etwas mit dem Verschwinden seines Hundes zu tun. Zum anderen war er
höchstwahrscheinlich bei ihr gewesen, hatte ihre Leiche gesehen und wusste nun,
dass ich in der Lage war zu töten.
    Ich
hörte weder die Tür noch seine Schritte. Ich sah ihn nur plötzlich vor mir
stehen. Seine Stimme klang weich, und sein Lächeln drückte aufrichtiges
Bedauern aus:
    »Entschuldige,
dass ich wieder so hereinplatze, Roger.«
    Clas
Greve trug Schwarz. Schwarze Hose, schwarze Schuhe, schwarzen
Rollkragenpullover und schwarze Handschuhe. Auf dem Kopf hatte er eine schwarze
Wollmütze. Das Einzige, was nicht schwarz war, war die silbern schimmernde
Glock.
    »Ist
schon in Ordnung«, sagte ich. »Es ist Besuchszeit.«
     
    Kapitel 22
     
    Stummfilm
     
    Wie
es heißt, ist das Zeitempfinden der Fliegen so verlangsamt, dass sie eine auf
sie zurasende Handfläche als unglaublich langsam empfinden. Sie sind von der
Natur nämlich mit einem extra schnellen Prozessor ausgestattet worden, sonst
könnten sie die gigantischen Informationsmengen, die durch ihre Facettenaugen
auf sie einströmen, gar nicht verarbeiten.
    Ein
paar Sekunden lang herrschte vollkommene Stille im Zimmer. Wie lange, weiß ich
nicht genau. Ich war eine Fliege, und die Hand raste gerade auf mich zu. Ove
Kjikeruds Glock war auf mich gerichtet. Clas Greves Blick fixierte meinen
kahlen Schädel.
    »A-ha«,
sagte er schließlich.
    Dieses
eine Wort beinhaltete alles. Es erklärte, warum wir Menschen uns die Erde
Untertan machen konnten, warum wir die Elemente beherrschen und in der Lage
sind, Wesen zu töten, die stärker und schneller sind als wir. Prozessorkapazität.
Clas Greves »A-ha« stand am Ende einer Lawine von Gedanken, einer Fülle von
entwickelten und verworfenen Hypothesen, von unerbittlichen Ergebnissen, die
ihn zu einer unausweichlichen Schlussfolgerung hatten kommen lassen: »Du hast
dir die Haare abgeschnitten, Roger.«
    Clas
Greve war - wie schon früher angedeutet - eine intelligente Person. Natürlich
hatte er nicht nur die banale Tatsache festgestellt, dass ich mir den Schädel
rasiert hatte, sondern hatte auch verstanden, wie, wo und warum ich das getan
hatte. Diese Erkenntnis räumte seine Verwirrung aus und beantwortete alle
Fragen. »Im Autowrack«, fügte er hinzu. Das war keine Frage, sondern mehr eine
logische Schlussfolgerung. Ich

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