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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbo
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überzeugt davon, dass
es eine Tochter gewesen war, obwohl Diana ihr bereits den Namen Eyolf gegeben
hatte - mich eines Tages aus ähnlich mascaraschweren Augen angesehen und
geschimpft hätte, dass ich ungerecht sei. Sie wollte jetzt wirklich mit ihrer
Freundin nach Ibiza, schließlich sei sie schon in der zwölften Klasse! Und ich
... Doch, ich glaube, ich hätte damit leben können.
    Der
Weg führte an einem Park mit einem großen See vorbei. Ich nahm einen der
braunen Pfade, die in ein Wäldchen auf der anderen Seite führten. Nicht weil
das eine Abkürzung war, sondern weil sich so der Punkt auf Greves GPS-Tracker
abseits der eingezeichneten Straßen bewegte. Leichen können vielleicht in Autos
herumgefahren werden, aber sie laufen nicht durchs Gelände. Mit diesem kleinen
Schlenker bestätigte ich den Verdacht, den ich bei dem niederländischen
Kopfjäger mit meinem morgendlichen Anruf von Lottes Telefon geweckt hatte:
Roger Brown war von den Toten auferstanden. Er hatte nicht in der Leichenhalle
des Reichshospitals gelegen, wie es auf dem GPS den Anschein gehabt hatte,
sondern vermutlich in einem Krankenbett im gleichen Gebäude. Aber in den
Nachrichten hatten sie doch gesagt, dass alle Autoinsassen ums Leben gekommen
seien? Wie konnte es sein ...?
    Ich
besitze vielleicht keine besondere Empathie, kann aber die Intelligenz einer
Person gut einschätzen, auf jeden Fall so gut, dass man mich einsetzt, um die
leitenden Stellungen in den größten norwegischen Betrieben zu besetzen. Als ich
nun um den See herumlief, überlegte ich noch einmal, zu welchem Schluss Clas
Greve kommen musste. Eigentlich war die Frage leicht zu beantworten. Er hatte
keine Wahl, er musste mir folgen, mich jagen und liquidieren, auch wenn er
dabei jetzt ein größeres Risiko einging als zuvor. Denn inzwischen war ich
nicht nur in der Lage, HOTEs Übernahmepläne zu vereiteln, sondern überdies ein
Zeuge, der ihn mit dem Mord an Sindre Aa in Verbindung bringen konnte. Falls
ich denn noch lebte, wenn das Ganze vor Gericht kam.
    Ich
hatte ihm, mit anderen Worten, eine Einladung geschickt, die er nicht
ausschlagen konnte.
    Als
ich auf der anderen Seite des Parks an einem kleinen Birkenwäldchen vorbeikam,
fuhr ich mit den Fingern über die dünne, weiße, papierartig abblätternde Rinde
eines Baumes, drückte mit den Fingerkuppen gegen den harten Stamm und grub
meine Nägel in die Oberfläche. Dann roch ich an meinen Fingerkuppen, schloss
die Augen und sog den Duft ein, während Erinnerungen aus meiner Kindheit auf
mich einströmten: Spielen, Lachen, Staunen, Freude, Angst und Entdeckungen. All
die winzigen Dinge, die ich vergessen zu haben glaubte, die aber natürlich noch
da waren. Eingekapselt, tief in meinem Inneren. Sie waren nicht verschwunden,
sie waren Wasserkinder. Der alte Roger Brown war nicht imstande gewesen, zu
ihnen zurückzufinden, doch der neue konnte das. Wie lange würde der neue Roger
noch leben? Sicher nicht mehr lange. Aber das hatte nichts zu bedeuten, seine
letzten Stunden würden intensiver sein als die ganzen 35 Jahre des alten Roger.
    Mir
war warm, als ich endlich das Haus von Ove Kjikerud sah. Ich ging nach oben zum
Waldrand und setzte mich auf einen Baumstumpf, von dem aus ich die Straße, die
Reihenhäuser und die Blocks überblicken konnte und überrascht feststellte,
dass sich die Aussicht der Menschen im Osten der Stadt kaum von jener
unterschied, die die Leute im reichen Westen hatten. Wir alle blickten auf das
Postgiro-Hochhaus und das Plaza Hotel. Die Stadt sah von hier weder schöner
noch hässlicher aus. Der einzige Unterschied war im Grunde, dass man von hier
aus die westlichen Stadtteile sah. Dabei fiel mir ein, dass die Kritiker nach
dem Bau von Gustave Eiffels berühmtem Turm für die Weltausstellung 1889 immer betont hatten, den schönsten Blick über Paris habe man
vom Eiffelturm aus, weil dies der einzige Ort sei, von dem aus man den Turm
selbst nicht sehe. Vielleicht war es auch nicht anders, Clas Greve zu sein: Für
ihn war die Welt sicher ein bisschen weniger hässlich als für die anderen, weil
er sich selbst nicht mit den Augen der anderen sah. Zum Beispiel mit meinen Augen.
Ich aber sah ihn. Und ich hasste ihn. Hasste ihn mit einer solch
überwältigenden Intensität, dass es mir selbst beinahe Angst machte. Das war
kein aufgewühlter Hass, im Gegenteil, mein Hass war aufrichtig, fast
unschuldig rein und klar, ich stellte mir vor, dass so auch die Kreuzritter die
Gotteslästerer gehasst haben

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