Heartbreak-Family – Als meine heimliche Liebe bei uns einzog (German Edition)
einen Hälfte meiner Herkunft. Die andere, also mein Vater, ist deutsch. Ich fühle mich weder türkisch noch deutsch, oder alles in einem. Mal so, mal so. Und immer bleibt es schwammig. Unklar. Halbwahr. Am liebsten wäre ich einfach Jannah, egal-wo-deine-Eltern-herkommen, Kismet. Man sieht es mir ohnehin nicht an. Ich habe rote Haare, grüne Augen und Sommersprossen. Kein Mensch würde mich für eine Türkin halten.
Mein Vater hat oft gewitzelt, dass ich wohl eher die Tochter vom Briefträger bin, denn er und meine Mutter haben dunkle Haare, und niemand weiß, wie mein Aussehen zustande gekommen ist. Meine Mutter liebt meine Haarfarbe. Einmal wollte sie ihre auch so färben lassen, aber nach dem Blondieren waren ihre Haare so kaputt, dass sie sie ratzkurz schneiden musste.
Doch die Zeiten sind vorbei, ihre Haare sind längst wieder lang, und viele Männer gucken ihr hinterher. Auch jüngere, obwohl sie schon 38 ist. Aber irgendwie sieht das keiner. Und ihre ständig gute Laune geht mir allmählich auch auf die Nerven.
Neulich sang sie morgens beim Frühstück »I was made for loving you« und fragte mich nebenbei, ob ich was dagegen hätte, wenn wir mit Sepp zusammenziehen. Das war, noch bevor ich die Verwandtschaftsverhältnisse kannte. Trotzdem quiekte ich entsetzt. »Ja! Und wie ich was dagegen habe!«
»Schade«, sie lächelte selig, »in zwei Monaten wird im Magnolienweg eine Wohnung frei. Sechs Zimmer, mit Terrasse, Dielenboden und Stuck an der Decke. Und du könntest das Erkerzimmer haben …«
Ich kriege Herzrasen, wenn ich nur daran denke! Mit Ken in einer Wohnung? An einem Tisch? Mit Merrie im Badezimmer? Auch wenn der Magnolienweg klasse ist und ich da schon immer wohnen wollte, bitte nicht so! Nicht mit denen! Das halte ich nicht aus, das geht einfach nicht!
Dass sich meine Eltern getrennt haben, war vergleichsweise leicht auszuhalten. Das fand ich nicht ganz so schlimm. Außerdem sind fast alle Eltern getrennt, das ist ja normal. Nur lassen sich die meisten mit einer neuen Liebe etwas mehr Zeit. Schließlich müssen die Kinder damit auch erst mal klarkommen, oder?
Beziehungen auf Distanz halten sowieso länger. Das hat Lou auch gesagt. Ihre Mutter ist schon seit vier Jahren mit einem Mann zusammen, der in einer anderen Stadt wohnt. Das ist super, weil ihre Mutter manchmal über Nacht dort bleibt und Lou machen kann, was sie will. Dann schlafe ich bei ihr, wir chatten und schicken den Jungs Fratzenfotos.
Praktisch ist auch, dass es jetzt keiner merkt, wenn ich ausnahmsweise mal die Schule schwänze, weil meine Mutter in der Agentur und mein Vater nicht mehr da ist. In der Klinik, in der er arbeitet, hat er oft ungünstige Schichten, so dass er dann vormittags zu Hause ist. Also für mich kann es so bleiben. Ich brauche niemanden in unserer Wohnung. Ken und seine Schwester schon gar nicht. Es reicht, wenn Sepp bei uns übernachtet. Und wie mir das reicht!
Ich verbesserte gerade die Physikarbeit, als mein Vater anrief. »Hey Jannah, die Sonne scheint! Hast du Lust auf eine Fahrt?«
»O ja!«, rief ich. »Apfelkuchen bei Keilriemen-Otto?«
»Na klar!«, lachte er. »Ich hol dich in zwanzig Minuten ab. Zieh dich warm an, ja?«
Eine halbe Stunde später brausten wir auf seinem Geländemotorrad durch die Wedemark.
Das hatten mein Vater und ich schon immer gern gemacht. Auch als ich noch jünger war, nahm er mich oft mit. Wir fuhren einfach so über die Dörfer oder in den Deister, auf dessen Bergstrecke ich gelernt hatte, wie man sich als Beifahrer richtig in die Kurve legt.
Das Visier meines Helms hatte ich aufgeklappt. Ich liebte es, wenn mir der Fahrtwind den Atem nahm.
Gut, dass ich zu meiner Kombi auch Handschuhe trug, es war wirklich kalt geworden. Nicht mehr lange und es würde Winter sein. Mit den gelb, orange, rot und rostbraun leuchtenden Bäumen vor uns kam mein Abschiedsgefühl. Wie jedes Jahr im Herbst. Schön einerseits und traurig andererseits, weil ich wusste, dass meine Jahreszeit vorbei war. Für mich hätte immer Sommer sein können. Immer. Frühling ging auch, aber da plagte mich mein Heuschnupfen. Der Winter mit Regen, Schnee, grauem Himmel und matschigen Wegen war nichts für mich. Gerade morgens, wenn ich so früh aus dem Haus musste und Nebelschwaden noch in den dunklen Straßen hingen, gruselte es mich. Oft sah ich dann in den Hauseingängen finstere Gestalten, die mir etwas antun wollten. Ich war immer froh, wenn ich endlich an der Haltestelle stand und im Gelärme
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