Heaven (German Edition)
groß, wirkte stark wie ein Fels und hatte Dreadlocks, die ihm bis über die Schultern fielen. Seine elfenbeinfarbene Haut zeigte einen leichten Schimmer, die schwarzen Augen jedoch waren verschleiert und ausdruckslos. Er hatte keinen Grund, eine Maske zu tragen – ich hätte ihn ohnehin immer erkannt. Dies war Hamiel, der Anführer der Sieben Reiter und Prophet der Verdammnis. Wo auch immer er auftauchte, war mit großem Leid zu rechnen. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich im Hörsaal umblickte.
«Komm heraus, komm heraus, wo immer du bist», sagte er mit tiefer, donnernder Stimme, die unerwartet melodisch klang. «Du kannst dich nicht für alle Zeiten verstecken.»
Xavier schloss schützend die Hand um meine, und ich drehte ganz leicht den Kopf in seine Richtung. Sein Griff wurde fester. Das honigfarbene Haar fiel ihm halb über das Gesicht, doch auch wenn er nicht sprechen durfte, drückten seine klaren, intensiven blauen Augen mehr aus als die Worte, die er nicht sprechen durfte: «Wage es bloß nicht. Denk nicht einmal daran, dich selbst preiszugeben.»
Verzweifelt blickte ich zu Hamiels Stiefeln. Er würde nicht ewig Geduld haben. Wenn ich nicht von mir aus aufgab, hatte ich keinen Zweifel, dass er jeden Einzelnen im Raum töten würde, bis er mich fand. Schon fiel sein tiefschwarzer Blick auf ein Mädchen, das nicht weit von ihm entfernt kauerte. Sie schrie auf, als sich seine massige Gestalt näherte und sie am Nacken packte wie einen Hund. Ich kannte das Mädchen nicht mit Namen, wusste aber, dass es bei mir im Wohnheim wohnte; ihre langen roten Haare und die blasse Haut waren unverwechselbar. Hieß sie nicht Susie? Oder Sally? Ich konnte mich nicht erinnern, und es spielte auch keine Rolle. Das Einzige, was zählte, war, dass Hamiel sie töten würde, wenn ich nicht hervortrat. Er schubste sie zu Boden und schwang das Schwert in einem leichten Bogen, dass die flache Seite der glänzenden Klinge dumpf auf ihrem Nacken aufschlug. Er brauchte nur den Winkel zu ändern und etwas mehr Druck auszuüben, und sie war tot. Ganz klar – er spielte mit uns.
Jetzt war der Moment, zu handeln. Ich löste meine Hand aus Xaviers und beugte mich so gut es ging vor, um ihn auf die Wange zu küssen. Das war nicht gerade der Abschied, den ich gewählt hätte, aber ich hatte keine Wahl. Niemals würde ich zulassen, dass ein anderes Mädchen meinetwegen sterben musste. Ich mochte in den Augen des Himmels eine Schande sein, aber ich war noch immer ein Engel, und es war meine Aufgabe, die Menschen zu schützen. Das hatte ich nicht vergessen.
Ich konnte nicht mit Xavier sprechen, da ich ihn damit womöglich verraten hätte, also sah ich ihn nur an und hoffte, dass mein Blick zumindest einen Bruchteil von dem ausdrückte, was ich für ihn empfand. Es war schwer, sich loszureißen, fast, als müsste ich meinen eigenen Körper zurücklassen. Doch das rothaarige Mädchen sah so panisch aus, dass ich nicht länger warten konnte.
Ich schlängelte mich unter dem Tisch hervor und verschränkte die Arme vor der Brust.
«Hi», sagte ich lässig zu Hamiel. «Suchst du etwa mich?»
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15
Unterrichtsschluss
Hamiels Mund verzog sich zu einem Grinsen, dass seine weißen Zähne vor seiner tiefschwarzen Haut deutlich hervortraten. Doch sein Gesichtsausdruck zeigte keine Freude, sondern puren Triumph. Er hatte gewonnen, mich aus meinem Versteck gelockt und direkt in seine Arme getrieben. Als er kurz in die Hände klatschte, blieben die Reiter wie angewurzelt stehen und drehten sich synchron zu ihm. Offensichtlich warteten sie auf weitere Instruktionen. Sie erinnerten mich an gut abgerichtete Hunde, die blind den Befehlen ihres Herrchens folgten. Ein einziges Wort von ihm, und sie würden mich töten.
Ich spürte einen leichten Windstoß, und gleich darauf war Xavier an meiner Seite und stellte sich schützend neben mich. Es zerriss mir schier das Herz. Mehr als alles auf der Welt wollte ich, dass er in Sicherheit war. Aber ich hätte wissen müssen, dass er mich in dieser Situation nicht alleinlassen würde. Meine Verurteilung bedeutete auch die seine. Zwischen uns gab es keine Trennung mehr. Ich griff nach Xaviers Hand und verschränkte meine Finger mit seinen. Genau wie ich gab sich Xavier größte Mühe, keine Angst zu zeigen, lehnte sich lässig an einen Tisch und trommelte mit der freien Hand auf die Platte.
«Ihr Jungs solltet mehr ins Freie gehen», sagte er. «Und mal im Ernst, was
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