Heaven (German Edition)
sah, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. An der gewölbten Decke war der Putz plötzlich beweglich wie Teig. Das gesamte Dach zitterte wie Wackelpudding, als ob der ganze Raum dehnbar geworden war.
In diesem Moment sprang die Tür des Hörsaals auf, und davor stand, schnaubend und scharrend, ein golden schimmerndes weißes Pferd. Es wirkte schemenhaft, als hätte man es nicht richtig ausgemalt. Ich packte Xaviers Hand. Als das Pferd den Kopf bewegte, wurde ein juwelenbesetzer Sattel sichtbar. Die weiße Mähne fiel ihm den Rücken hinab. Unter normalen Umständen hätte ich das Pferd wunderschön gefunden, aber es war ein Warnsignal, das die Ankunft seines Herrn ankündigte. Die anderen Studenten blickten neugierig zur Tür, sahen aber nichts. Das Pferd war nur für jene sichtbar, die seine Bedeutung verstanden.
«Es ist wieder da», flüsterte ich. «Xavier – sie sind es!»
Ich hatte kaum zu Ende gesprochen, als die maskenartigen Gestalten auch schon wie von Geisterhand im Hörsaal erschienen. Ihre Füße waren unter wallenden schwarzen Roben verborgen. Die Gesichter waren hinter einer Maske aus weißem Gips versteckt, die wie festgesaugt wirkte. Hinter ihren Augenschlitzen verbarg sich nichts als Leere. Ein Atemloch hatten sie nicht, sie brauchten es nicht, da sie nicht von dieser Welt waren. Auch Haut zeigten sie nur an einer Stelle, und zwar an den schwieligen Händen. Sie waren grau wie Asche, wie vergammeltes Fleisch, und halb von fingerlosen Lederhandschuhen bedeckt. Es waren die Sieben Reiter aus meinem Albtraum, nur dass ich im Traum bloß einen einzigen gesehen hatte – und jetzt war es mindestens ein Dutzend.
Xavier erstarrte neben mir. Die anderen Studenten richteten sich auf und zeigten, teils verunsichert, teils fasziniert, teils amüsiert, auf die Männer. Sie hielten das Ganze für einen gutgemachten High-Tech-Scherz, vielleicht von einigen kreativen Verbindungsstudenten. Wie hätten sie auch begreifen sollen, welcher realen Bedrohung sie ausgesetzt waren?
Im nächsten Moment war Xavier aufgesprungen und hatte mich auf den harten Boden geworfen, damit ich versteckt war. Ich wehrte mich nicht und verkroch mich so tief unter den Klappsitzen, dass sich mir die Metallverstrebungen in die Schultern bohrten. Mein Herz raste wie verrückt. Sie waren so nah – war es möglich, dass sie mich trotzdem nicht bemerkt hatten? Dass ich hier war, wussten sie, denn dass sie ausgerechnet in diesen Hörsaal gestürmt kamen, war mit Sicherheit kein Zufall. Und trotzdem – wenn sie noch nicht wussten, wo ich genau steckte, bestand eine winzige Chance, zu entkommen.
Von meiner kauernden Position aus hatte ich nur sehr eingeschränkte Sicht auf die Geschehnisse. Ich hörte, wie Xavier das Kommando übernahm und die anderen Studenten dazu drängte, den Hörsaal zu verlassen.
«Raus hier!», rief er. «Ihr seid hier nicht mehr sicher. Lauft!»
Die Studenten reagierten unterschiedlich. Manche weigerten sich, seine Warnung ernst zu nehmen, und wollten mit eigenen Augen sehen, was hier abging. Professor Walker stand fassungslos und mit offenem Mund am Pult. Die schwere Anthologie, in der er gelesen hatte, fiel herunter und donnerte zu Boden. Die Reiter in ihren weiten Gewändern begannen mit ihrer riesenhaften, starren Gestalt die Notausgänge zu blockieren. Die schwarzen Kapuzen, die ihre Gesichter bedeckten, wurden von einem unsichtbaren Wind bewegt und klatschten gegen ihre gipsartigen Wangen.
Einige hysterische Mädchen wandten sich Hilfe suchend an Xavier, dem Einzigen, der als Anführer herhalten konnte, da alle anderen völlig planlos wirkten.
«Was sollen wir tun?», schrien sie und klammerten sich aneinander fest. «Was geht hier vor?»
Xavier sah mit einem Blick, dass es keinen sicheren Weg aus dem Hörsaal mehr gab, und legte daher dem Mädchen, das noch am ruhigsten wirkte, eine Hand auf die Schulter. «Legt euch auf den Boden und bewegt euch nicht», wies er sie an und sah ihr fest in die Augen. Mit einem Blick auf die anderen beiden, deren Gesichter vor Tränen mit Wimperntusche verschmiert waren, fügte er hinzu: «Pass auf sie auf, sie brauchen dich.»
Das Mädchen nickte und schluckte heftig. Dann zog sie die anderen beiden, die noch immer winselten, zu Boden. Ich sah, wie sie auf Händen und Knien unter die Tische krabbelten. Andere aber standen noch immer in den Gängen oder packten panisch ihre Sachen in ihre Rucksäcke.
Als die Reiter Xaviers Stimme hörten, liefen sie sofort in
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