Heaven (German Edition)
unsere Richtung. Sehen konnten sie weder ihn noch mich, das wusste ich genau – sie waren blind wie manche Tiere, die sich für die Jagd auf einen anderen, sehr feinen Sinn verlassen mussten. Ihre Köpfe baumelten hin und her, als sie den Raum durchkämmten. Welchen Sinn verwendeten sie, um uns aufzuspüren? Orientierten sie sich am Geruch oder an Geräuschen, konnten sie die Vibrationen unserer Seele erspüren, oder wussten sie instinktiv, wo wir waren? So oder so, Xavier musste aus der Schusslinie. Ich rutschte nach vorne und packte ihn so plötzlich am Knöchel, dass er fast aufgeschrien hätte. Gerade noch rechtzeitig entdeckte er mich am Boden, wich leise zurück und zwängte sich unter den Schreibtisch neben mir. Beide lagen wir so still da, wie wir konnten, hielten die Luft an und wagten es kaum, auch nur einen Muskel zu bewegen.
Die Reiter griffen in ihre weiten schwarzen Umhänge und zogen lange Metallstangen heraus, die im Licht glänzten. Es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, dass es Schwerter mit Edelstein besetzten Griffen waren, die sie fest in der Hand hielten. Vor den schlichten weißen Wänden des Hörsaals tanzten Schatten ihrer dunklen, zerfetzten Flügel, die beinahe skelettartig anmuteten. Die Federn schienen abgefallen zu sein, es war nichts zurückgeblieben als ein gerupfter Rest, der gegen den Rahmen flatterte.
Als die Schwerter aufblitzten, dauerte es nicht lange, bis der menschliche Instinkt zu überleben jegliche Neugier verdrängt hatte. Die Studenten begannen panisch in alle Richtungen zu rennen, wobei sie sich zum Schutz ihre Bücher vor den Kopf hielten. Die Schwerter der Sieben schienen sich leicht zu kräuseln und strahlten eine mächtige Hitze ab. Bald schon war es im Hörsaal heiß wie in der Sauna.
Die Reiter schritten die Gänge auf und ab. Einer von ihnen lief so nah an dem Tisch entlang, unter dem ich kauerte, dass ich den Geruch nach feuchtem, fauligem Laub wahrnehmen konnte, den sein Umhang ausdünstete. Er hielt sein Schwert vor seiner Brust am Griff, die Spitze gen Boden gerichtet. Das Metall strahlte eine Hitze ab, als ob es gerade unter offenes Feuer gehalten worden war. Von der Spitze ging ein feiner Strahl aus, wie ein Laser, der nach etwas zu suchen schien. Ich schaffte es nicht mehr rechtzeitig, meine Hand zurückzuziehen, und der Strahl traf sie mit voller Wucht. Ein gleißender Schmerz durchzuckte mich, als sie zu zischen begann, die Hitze sich tief in mein Fleisch brannte und meine Hand rauchend und verbrannt zurückließ. Ich biss mir so heftig auf die Lippe wie möglich, um nicht loszuschreien, während sich meine Augen mit Tränen füllten und sich ein glänzender roter Streifen vom Handgelenk bis zu den Fingerknöcheln bildete. Ich versuchte, nicht auf die Blasen auf der Haut und das rote, rohe Fleisch zu schauen. In dem Moment hielt der Reiter für einen Moment inne und schnüffelte wolfsartig herum. Konnte er meine Verletzung riechen, meine Angst oder beides? Langsam und unter größten Schwierigkeiten drehte ich meine Hand und drückte sie gegen den Boden, in der Hoffnung, damit das, was der Reiter erspürte, zu blocken. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte ich, die kratzigen Fasern zu ignorieren, die sich mir jetzt ins offene Fleisch bohrten. Dann setzte sich der Reiter wieder in Bewegung, und der Strahl des Schwertes wanderte weiter – in Richtung von Xaviers Knöchel. Er hielt die Luft an, bereit für den Schmerz, aber nichts geschah, der Strahl glitt einfach über ihn hinweg, leicht und harmlos wie ein Schmetterling. Jetzt begriff ich: Diese Schwerter waren einzig auf mich ausgerichtet, darauf, mein Versteck aufzuspüren. Wenn eins von ihnen meinen Körper direkt erwischte, würde es mich versengen, bis ich nicht mehr anders konnte, als loszuschreien und mich selbst preiszugeben.
Die maskenartigen Gestalten musterten mit ihren blinden Augen weiter die Menge. Ich hörte einen von ihnen neben mir atmen, so rasselnd, als ob er an einer fortgeschrittenen Lungenkrankheit litt. Es überraschte mich, wie konsequent sie die Angstschreie und das Gerenne der Studenten um sie herum ignorierten. Oder konnten sie sie hinter ihren Gipsmasken gar nicht hören?
Mitten in dem Durcheinander lief ein Paar schwerer schwarzer Stiefel auf das Pult zu. Sie knallten bei jedem Schritt auf dem Boden auf, als wären sie aus Stein. Ich presste mein Gesicht zu Boden und versuchte dabei, einen besseren Blick auf den mysteriösen Neuankömmling zu erhaschen. Er war
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