Heaven - Stadt der Feen
Hilfe bittet«, verkündete er mit seiner sonoren Stimme, »dann sollte man sie ihr nicht verweigern.« Er zwinkerte David zu. »Nicht, wenn man ein wahrer Ritter ist, nicht wahr?« Er lachte gutmütig. »Es ist zugig im Treppenhaus.« Mit diesen Worten bat Mr Merryweather sie in den Salon.
Sanftes Licht fiel durch die halb geöffneten Jalousien in den Raum und zauberte helle Streifenmuster auf die Regale und Bücher. Es roch nach dem kalten Tabak der Nacht undalten Büchern, nach Druckerschwärze an den Fingern und ausgelesenen Zeitungen, die auf dem Tisch lagen und auf denen sich Teekannen und Tassen und die Reste von Gebäck stapelten, genauso wie vorletzte Nacht. Die hohen Regale standen an den Wänden mit der bunt gemusterten Tapete zwischen der Holzvertäfelung.
»Haben Sie darin gelesen?«, fragte David und deutete auf das Buch, das aufgeschlagen auf einem der Sessel lag.
»In Die Braut von Lammermoor?« Mr Merryweather lächelte freudig. »Ja, sicher. Es hat Spaß gemacht, ihr aus dem alten Buch vorzulesen.« Er deutete zu einem der Bilderrahmen, der ein Foto seiner Frau hielt. »Das Leben ist auf einmal wieder lebendig geworden.« Heute trug er einen Anzug aus braunem Cord und sah damit aus wie aus einem Roman von P.G. Wodehouse. Während er in der Küche, die gleich neben dem Salon lag, Wasser für den Tee aufsetzte, berichtete ihm David von den seltsamen Dingen, die sich zugetragen hatten. Natürlich bemühte er eine etwas entschärfte Version der Geschehnisse. Mr Merryweather musste ja nicht alles wissen. Immerhin, er hörte ruhig zu.
Als er den Tee aufgoss, bat Heaven ihn, das Fenster einen Spaltbreit zu öffnen, sodass sie davor sitzen konnte. Auf dem Regal über dem Gasherd stand ein Radio, aus dem klassische Musik erklang.
»Gilbert und Sullivan«, erklärte Mr Merryweather, als er Davids neugierigen Blick bemerkte.
»Oh«, machte der nur.
Heaven nahm sich einen Stuhl gleich beim Fenster.
»Wir können gerne in der Küche bleiben«, schlug Mr Merryweather vor. »Ich mag Küchen. Die besten Gesprächemeines Lebens habe ich in Küchen geführt. Küchen sind magische Orte.« Dann stellte er David und Heaven eine Tasse mit dampfendem Tee vor die Nase und kam auf den Punkt. »Die Geschichte, die ihr mir da erzählt, klingt ganz erstaunlich«, sagte er, aber er schien sich trotz seiner Worte nicht zu wundern. »Aber was kann ich dabei für euch tun?«
»Es geht um ein Buch«, sagte David.
»Genauer gesagt um ein verschwundenes Buch«, übernahm Heaven.
Mr Merryweather horchte auf. »Das sind die besten«, sagte er langsam. »Solange man sie noch aufspüren kann.«
»The fallen Fairy’s Heart. Der Verfasser ist ein gewisser Earl of Rochester.«
Mr Merryweather nickte nachdenklich. »Der Titel sagt mir etwas«, murmelte er. Er legte die Stirn in Falten, zögerte, dann hellte sich sein Gesicht auf. »Ja, in der Tat, ich habe es sogar gelesen. Das ist viele Jahre her, aber ich kann mich noch daran erinnern.«
Davids Augen leuchteten auf. »Wo ist es? Hier in der Wohnung? Dürfen wir es uns ausleihen?«, fragte er.
Mr Merryweather lächelte gütig. »Ich habe es zwar gelesen, aber ich besitze es nicht. Es ist sehr selten. Hm, nun ja, vielleicht sollte ich es bei Miss Trodwood ordern, wer weiß?« Neugierig begutachtete er die beiden. »Es handelt sich um ein Märchen, nicht mehr. Wie die Märchen, die Oscar Wilde geschrieben hat. Sehr erwachsen, sozusagen.«
David warf Heaven einen Blick zu. »The fallen Fairy’s Heart«, sagte er. »Geht es tatsächlich um Feen in diesem Buch?«
»Nun«, Mr Merryweather strich ein Stäubchen von seinermakellosen Cordhose, »das Bild, das der Earl von Rochester von ihnen hat, weicht ein wenig von dem Feenbild ab, das uns in England geläufig ist.« Er räusperte sich und nippte auskostend an seinem Tee. »Ach, was rede ich? Ein wenig? Im Grunde genommen stellt es alles auf den Kopf, was wir jemals über Feen gehört haben.« Er blickte von Heaven zu David. »Es ist eine traurige Geschichte. Keine, die meine Frau gemocht hätte.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich mich recht erinnere, handelt die Geschichte von einem jungen Edelmann aus Wales, der auf einer Reise, die ihn quer durch Europa führt, eine junge Frau findet. Eigentlich ist es eine Geschichte wie viele andere auch. Sie beginnt mit dem jungen Mann und seinem Verlangen und sie endet tragisch.« Er suchte in der Tasche seines Jacketts nach einer Pfeife. »Und wie in allen Märchen ist die Heldin
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