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Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ditto Beth
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»Ich hab gehört, du hast es mit einem Mann getrieben«, statt mich zu fragen, ob mit mir alles in Ordnung sei. Welche Drittklässlerin hatte Sex mit einem erwachsenen Mann, und hinterher war alles in Ordnung? Ich glaube, sie wusste einfach nicht, wie sie mit einem solchen Tabuthema umgehen sollte, und fühlte sich unwohl dabei, zumal sie nur gerüchteweise davon erfahren hatte. Sie war ein guter Mensch, eine gute Lehrerin, aber infolge ihres missglückten Versuches, mir zu helfen, verstummte ich bei dem Thema ganz. Mit dem Mädchen, dem ich mich anvertraut hatte, redete ich überhaupt nicht mehr. Wir waren sowieso keinen richtig guten Freundinnen gewesen.
    Schluss war mit dem Missbrauch erst, als ich selbst dafür sorgte. Ich sagte zu Lee Roy: »Du musst damit aufhören.« Und er hörte damit auf. Außerdem konnte ich, als ich älter war, selbst entscheiden, ob ich Dad bei Onkel Lee Roy zu Hause besuchen wollte.
    Nachdem einige Zeit vergangen war, schaffte ich es, auf die Ereignisse zurückzublicken. Ich war entsetzlich wütend auf alle, weil sie es zugelassen und mich nicht beschützt hatten. Ich war verzweifelt und musste mit jemandem darüber reden. Ich sprach darüber mit Akasha. »Glaubst du, du warst die Einzige?«, fragte sie spöttisch. Natürlich nicht. Ich habe nie gesehen, dass meiner Schwester etwas angetan wurde, und sie hat mir die Einzelheiten nie anvertraut. Ich weiß nur, dass wir dies mit vielen anderen Mädchen und Frauen in unserer Familie gemeinsam haben. Ich dachte, ich würde missbraucht werden und Akasha nicht, und es läge daran, dass ich dick war und Akasha nicht. Sie war strohblond, zierlich, dünn und mädchenhaft. Weil sie auf so herkömmliche Weise hübsch war, dachte ich, sie wäre unangreifbar. Unangreifbar und dünn. Aber das stimmte nicht.
    Viele Jahre später, in einem Tonstudio mitten in den Wäldern von Washington State, arbeiteten Nathan Howdeshell, unser Gitarrist bei Gossip, und ich an einem schwermütigen, düsteren Song über Geheimnisse, die im Verborgenen fortleben: »Holy Water«. Wir schrieben ihn innerhalb weniger Minuten und nahmen ihn direkt auf. Als wir Schluss machten, war es jedoch schon sehr spät; in meiner Aufnahmekabine hatte die Zeit für mich stillgestanden. Dann rief mein Dad an: Mein Onkel Lee Roy war gestorben. »Ich dachte nur, du solltest es wissen«, meinte er.
    Ich wollte auf die anderen Kinder achtgeben und dafür sorgen, dass jemand sich um meine kleinen Cousinen und meinen Cousin kümmerte. Für die älteste von ihnen sparte ich Pennys und schlug sie in Papier ein, wenn ich genug hatte. Die Rollen lagen schwer in meiner Hand, das gefiel mir. Ich wollte ihr etwas schenken, mit dem sie wirklich etwas anfangen konnte, etwas Handfestes, das ihr ein wenig Unabhängigkeit ermöglichte. Aber eigentlich hätte sie dasselbe gebraucht wie ihr Bruder und ich: Hilfe. Doch es war niemand da, der uns half.

ZEHN
    10
    ARKANSAS HINKT DEM REST DES LANDES, wie gesagt, gute zehn Jahre hinterher. Deshalb wussten anderswo längst alle Bescheid, als ich erst nach und nach begriff, worum es bei Grunge überhaupt ging. Während man im Rest des Landes längst in Flanellhemden und mit Zottelhaaren herumlief, trug ich nach wie vor eine Frisur, die höher war als Tante Jannies Blutzuckerspiegel. Es dauerte immer eine Weile, bis etwas in Judsonia ankam, und dann dauerte es seine Zeit, bis es wieder verschwand. Egal wie cool Alanis Morissette sein mochte, auf meine Hochfrisur wollte ich eben auch nicht einfach so verzichten. Ich war richtig hingebungsvoll, wenn ich mir die Haare stylte. Und ich war ziemlich gut darin, o ja.
    Als ich noch Dauerwelle und Pony trug, waren es die besten Locken und der beste Pony weit und breit, davon dürft ihr getrost ausgehen. Ich hatte den Bogen raus. Mädchen, die bei allen beliebt waren, luden mich zu sich nach Hause ein, damit ich ihnen ordentlich aufgedonnerte Frisuren für ihren Schulabschlussball machte. Ich hatte ein echtes Händchen für Haare, und irgendwie musste ich mein Talent in mein neues Grunge-Rock-Leben integrieren. In meinem Freundeskreis auf der Highschool – zugegeben, er war nicht besonders groß –, war ich die Beste im Haarefärben. Ich entwickelte eine ganz eigene Technik, indem ich zwei Päckchen Färbemittel mit einem walnussgroßen Häufchen Noxzema-Hautreiniger-Lotion

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