Heavy Cross
vor, als würden sämtliche Bands den Soundtrack zu einer gemeinsamen Revolution beisteuern. So gut wie jeder hatte begriffen, dass wir in der ScheiÃe saÃen, und mit seiner Band musste man dagegen angehen. AuÃerhalb von Olympia war die Welt ein einziges Irrenhaus. Die Leute lehnten Schwule, Lesben und Dicke ab, benahmen sich unkontrolliert rassistisch und sexistisch und hielten arme Menschen für Abschaum. Je tiefer ich durch Gossip in die Mainstream-Musikbranche hineingeriet, desto häufiger kam ich in Kontakt mit Menschen, Bands und Plattenfirmen, die vielleicht die Punk-Ãsthetik mit uns teilen mochten, nicht jedoch das politische Bewusstsein, das mich als allererstes am Punk angezogen hatte. In meiner Naivität hatte ich geglaubt, dass alle Leute, die Musik machten, denselben Hintergrund wie wir hätten und durchgeknallte, feministische Lesben und Schwule sein mussten, die sich aus erdrückenden Kleinstadtverhältnissen befreit hatten. Von wegen.
In Olympia war es normal, schlau und radikal zu sein. Aber andernorts kam man nicht weiter, wenn man für Homosexualität, Feminismus und einen selbstbewussten Umgang mit dem Dicksein eintrat. Wenn man mit einem politischen Anliegen in Verbindung gebracht wird, kann einen das ganz schön ausbremsen. Andererseits lieben einen die schlauen Leute umso mehr, und so kamen wir auf das Cover der Zeitschrift Punk Planet. Für mich war das eine ungeheure Bestätigung, eine Ehre. Punk Planet stand dafür ein, dass auf Worte auch Taten folgten. Bei ihrem Blick auf Punk ging es nicht vorrangig um Mode oder Musik, sondern um eine ethische Haltung, die jeder Art von Kulturschaffen gleichermaÃen Bedeutung zuwies. Es konnte vorkommen, dass sich in einer Ausgabe in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Interview mit Thurston Moore und Besprechungen von Singles irgendwelcher Teen-Punkbands Artikel zu Themen wie Feminismus, Medienkritik und bildender Kunst befanden. Ruhe in Frieden, Punk Planet .
Wir kamen ein kleines bisschen verändert von der Tour zurück, nur in Olympia war alles beim Alten geblieben. Vor mir lag die lästige Aufgabe, einen Job zu suchen und mich halbherzig zu bemühen, ihn nicht zu verlieren. In dem Fast-Food-Restaurant konnte ich nicht wieder einsteigen, also kam ich nach sechs Wochen mit Sleater-Kinney zurück und fing bei Subway an. Der Job bei Subway war erste Sahne, der Laden lag direkt neben unserer Wohnung. Wenn mein Dienst um halb zehn anfing, lieà ich mich fünf Minuten vorher aus dem Bett fallen. Danach arbeitete ich bei Bagel Brothers, dann bei Metro, diesem total bescheuerten Klamottenladen, wo man ein sexy Schwesternoutfit aus Plastik oder ein französisches Stubenmädchenkleid finden kann. Dort arbeitete ich ganze fünf Tage, dann wurde ich rausgeworfen. Batdorf & Bronson war die nächste Station, ein begehrter Job in einem Café. Batdorf & Bronson bedeutete Stabilität. Gemessen am Standard in Olympia war das ein Job für Erwachsene. Man war krankenversichert und erwarb Rentenansprüche. Ich war inzwischen lange genug in der Stadt, sodass ich mir diesen tollen Café-Job offenbar verdient hatte. Kurz und gut: Wer glaubt, von einer erfolgreichen Tour zurückzukehren sei glamourös, hat sich gründlich geschnitten.
Trotz der beschissenen Jobsituation empfand ich Olympia als einen wahrhaft magischen Ort. Die Lebenskosten waren so gering, dass jeder mit Aushilfsjobs über die Runden kam und trotzdem noch genug Zeit hatte, um das Rouge seiner Mitbewohnerin zu mopsen und als schwule Urlauber verkleidet Nonsens-Performances abzuliefern. Der Stadt fehlte es zwar an wirtschaftlicher Infrastruktur, aber das wurde mehr als wettgemacht durch ihre reiche Kunst- und Musikszene.
Nicht lange nach der Tour kam von Kill Rock Stars die Anfrage, ob sie ein ganzes Album von uns veröffentlichen dürften. In dem Augenblick dachten wir: »Vielleicht wird wirklich eine richtige Band aus uns!« Alle taten so, als wären wir das längst, aber uns selbst fiel es immer noch schwer, daran zu glauben.
Das Büro von Kill Rock Stars befand sich direkt auf der gegenüberliegenden StraÃenseite. Nach der Arbeit ging ich oft hin, stand ein bisschen im Weg herum und hörte mir die neuesten Klatschgeschichten an. Eines Tages, als Nathan ebenfalls da war, fragten sie ihn einfach, ob wir eine Platte bei ihnen machen wollten. Er hatte unsere erste Platte eigentlich bereits K Records
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