Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ditto Beth
Vom Netzwerk:
innerhalb dieser Subkultur sexuell auszuprobieren und zu verwirklichen. Nachdem ich Anthony hatte ziehen lassen, war ich bereit, mich meinen Gefühlen zu stellen. Aber je mehr ich mich damit beschäftigte, desto komplizierter wurde es, weil ich mich eigentlich gar nicht zu anderen Mädchen hingezogen fühlte. Die, die mir gefielen, wirkten eher wie Jungs. Und ich hing dem naiven Glauben an, alle suchten sich ohnehin Partnerinnen, die wie sie selbst waren: Sich männlich gebende Lesben gingen mit ähnlich maskulinen Typen und besonders weibliche Mädchen mit ihresgleichen. Ich mochte Mädchen, die ganz anders waren als ich, sodass sie mir fast wie eine eigene Spezies vorkamen.
    Auftritt Melanie.
    Wir lernten uns im Einkaufszentrum kennen, als ich noch meinen allerersten Job in dem Fast-Food-Restaurant in Olympia hatte. Sie jobbte in einem Stehcafé für Zimtschnecken und rief mich auf dem Restauranttelefon an. Es gab ein Telefonverzeichnis mit allen Nummern von allen anderen Läden und Imbissen, also suchte Melanie mein Fast-Food-Restaurant heraus und rief an. Wir hingen beide jeweils im hinteren Ladenbereich am Telefon, redeten miteinander, ignorierten die Kundschaft, und Melanie sagte: »Komm, wir gehen nach vorne und winken uns zu.« Dann legten wir auf und rannten an unsere Kassen, winkten und lächelten uns albern und bescheuert an. Nach der Arbeit trafen wir uns bei ihr und knutschten. Ich blieb über Nacht. Morgens standen wir auf, gingen zusammen zum Einkaufszentrum und drückten uns zum Abschied im grellen Licht der Imbiss- und Restaurantgalerie die Hände.
    Nachdem wir eine Weile zusammen waren, bat Melanie mich, bei ihr einzuziehen. Ich willigte unter der Voraussetzung ein, dass ich Jeri mitbringen durfte. Also zogen wir aus dem Punkhaus zu Melanie in die Lesbenvorstadt. Wir wohnten fast zwei Jahre zusammen. Aber irgendetwas stimmte nicht. Es war, als würde ich eine Rolle spielen, wie eine Schauspielerin, die ihre Vorstellung vom Leben einer Lesbe verkörpert – engagiert, häuslich, aber nicht zu feminin.
    Während der ganzen Zeit mit Melanie kapierte ich nicht, dass ich eine Femme war. In meiner eigenen feministischen Entwicklung – und in der vieler Frauen – spiegelt sich im Kleinen und bruchstückhaft der Weg, den der Feminismus im Lauf der Geschichte genommen hat. Nicht überraschend also, dass mein erstes Verständnis von Feminismus und meine neue lesbische Identität dazu führten, dass ich alles ablehnte, was gemeinhin als »typisch weiblich« gilt. Sozusagen meine ganz persönliche BH-Verbrennung. Mit der feministischen Ansicht, dass der Wert einer Frau sich nicht nach ihrem Aussehen bemisst, geht einher, dass alles, was gesellschaftlich von Frauen verlangt wird, um als hübsch – und damit als »wertvoll« – zu gelten, verdächtig wirkt. In diese Kategorie fallen Dinge wie das Rasieren der Achselhöhlen und der Bikinizone, Make-up, das Tragen von Röcken, hochhackigen Schuhen und Dessous. Also schnitt ich mir die Haare kurz und lief in Jeans herum. Ich wollte eine Butch-Lesbe sein und möglichst jungenhaft wirken, weil ich in meinen Augen nur so eindeutig als Lesbe erkennbar war.
    Feministinnen entkamen der Unterdrückung durch den Schönheitswahn. Und ich wollte mich nicht zur Idiotin ma chen. Vielleicht war es das Beste, die Sache komplett über Bord zu werfen, mich einfach von dem ganzen Kram zu verabschie den – von der Weiblichkeit und dem ganzen sexy Beiwerk.
    Schon bald genügten mir diese Theorien aber nicht mehr. Ich liebte es, mir die Haare zu frisieren, mich aufzudonnern, mich zu schminken. Das tat ich nie, um von Männern oder Frauen geliebt oder begehrt zu werden, sondern weil es mir Spaß machte und meine Fantasie anregte. Das Bedürfnis, sich selbst auszudrücken, kann nicht der Feind sein, auch dann nicht, wenn es sehr weibliche Formen annimmt. Der Feind sind die Ideale, denen Frauen vermeintlich zu entsprechen haben. Und plötzlich hatte ich den Eindruck, dass eine bestimmte Sorte von Feminismus zu diesen Idealen gehörte, wodurch ich mich unter Druck gesetzt fühlte. Ich wollte mich gegen Unterdrückung wehren und stark sein, aber ich wollte es in einem hübschen Kleid und mit hochtoupierter Frisur tun. So kam ich mir stark vor.
    In meiner kleinen punkigen, lesbisch-feministischen Neunzigerjahre-Welt sollte sich niemand schwach fühlen. Doch weibliche

Weitere Kostenlose Bücher