Heavy Cross
diesbezüglich immer sehr um mich bemüht, aber im Unterrichten nicht besonders begabt gewesen. Glücklicherweise erkannte sie jedoch wenigstens mein Potenzial. Wenn sie hörte, wie ich »Like a Virgin« oder »Girls Just Want to Have Fun« quäkte, kam sie ins Zimmer, kniff mir in die Nase und sagte: »Nicht durch die Nase, aus dem Bauch heraus!« Dann schnippte sie mit den Fingern und zählte: »Eins, zwei, drei, vier!« Sie brachte mir die Grundlagen bei: Rhythmus, Stimmresonanz und Selbstvertrauen. Ich bin bis heute nie ganz sicher, ob irgendwas »schief« klingt, aber ich lerne ständig dazu. Wenn ich auftrete und aufnehme, dann wende ich Techniken und Tricks an, die ich mir von anderen Sängerinnen und Sängern abgeguckt habe oder die mir von Leuten gezeigt wurden, mit denen wir an unseren Alben gearbeitet haben. Einiges davon konnte ich mir auch selbst beibringen, fast intuitiv, einfach dadurch, dass ich schon seit so vielen Jahren mehr oder weniger täglich singe. Als wir Movement aufnahmen, hatte ich vom Singen noch keine Ahnung. Bei Standing in the Way of Control war das schon ganz anders.
Dann nahmen wir 2008 Music for Men auf, und genossen den Luxus, uns dafür so viel Zeit nehmen zu können, wie wir brauchten. Dieser Freiraum half mir, meine Stimme viel besser und vielfältiger einzusetzen als bei den vorherigen Alben, und das war wirklich aufregend. Trotzdem ahnte ich während jener Sessions auch, dass ich noch lange nicht bis zu meiner wahren Stimme vorgedrungen war. Und ich weià auch immer noch nicht so richtig, wie ich die ganzen unterschiedlichen Gesangsstile unter einen Hut bringen soll â es gibt so viele verschiedene, die ich imitieren kann. Ich glaube nicht, dass alle Sängerinnen das können. Ich fühle mich mit meiner Stimme inzwischen sehr wohl. Ich gehe ganz natürlich damit um und versuche nicht mehr, mich in irgendeine blöde Kleine-Mädchen-Schublade pressen zu lassen. Ich habe keine Angst mehr davor, nicht so zu klingen, wie ich klingen sollte. Und ich darf jungen Sängerinnen im »Rock ânâ Roll Camp for Girls« all das vermitteln, was ich über so viele Jahre hinweg mühsam lernen musste. Auf diese Weise kann ich ihnen dabei helfen, einen weniger schmerzhaften Weg zu beschreiten, sich in ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren und ihren einzigartigen Sound schätzen zu lernen.
Die Mädchen in diesen Camps sind zwischen acht und achtzehn Jahre alt. Die Lehrerinnen sind gröÃtenteils Frauen oder Transsexuelle, die sich das, was sie können, selbst beigebracht haben. Wir unterrichten jeden Aspekt des Musikmachens, der uns relevant erscheint. Die Rock Camps finden seit 2001 statt â das erste in Portland, Oregon â, sodass die ersten Teilnehmerinnen inzwischen schon junge Erwachsene sind. Viele von ihnen engagieren sich jetzt als freiwillige Helfer. In den Camps wird den Kids Mut gemacht, sich selbst zu akzeptieren und zu mögen. Falls jemand behaupten sollte, dass Musik und Feminismus unwichtig seien oder dass Riot Grrrl nichts bewirkt habe, dann wird er durch die Rock Camps widerlegt, die inzwischen regelmäÃig überall in den Vereinigten Staaten stattfinden und so etwas wie das Vermächtnis der Bewegung sind. Dort wird ein radikal feministischer Ansatz vertreten und den Mädchen die einfache, aber fundamentale Idee vermittelt, dass sie das Recht haben in der Musikwelt mitzumischen, oder in welcher Welt sie auch immer mitmischen möchten. Wir bringen ihnen bei, wie man Noten liest oder â wenn ihnen das lieber ist â wie man intuitiv und mit viel Ãbung Musik macht, ohne Noten lesen zu müssen. Wir helfen ihnen dabei, einen respektvollen Umgang miteinander zu erlernen. Wir veranstalten Workshops über Gender-Identitäten und Rassismus, und wir erwachsenen Lehrerinnen lernen dabei ebenfalls jede Menge. Jugendlichen ist oft nicht bewusst, wie rassistisch manche ihrer flapsigen Bemerkungen sind, und als Erwachsener muss man herausfinden, wie man sie darauf anspricht. Seit mehreren Jahren habe ich das Glück, jeden Sommer eine Woche lang im Rock Camp Gesang unterrichten zu dürfen, und es ist jedes Mal eine unglaubliche Erfahrung.
Auch mir hilft das Rock Camp, als Musikerin besser zu werden. Ich muss gestehen, dass ich bis vor ein paar Jahren nicht wusste, wozu ein Monitor dient. Ich hatte keine Ahnung, dass diese groÃen schwarzen Boxen auf mich
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