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Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ditto Beth
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gerichtet sind, damit ich mich selbst höre. Früher schrie ich an den ersten drei Abenden einer Tournee einfach drauflos, nur um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie meine Stimme klang. Ich lerne bis heute dazu, wenn es um den Umgang mit Gesangsanlagen geht, weil ich mein Wissen später Achtjährigen weitergeben will! Also eigentlich lerne ich es durch sie, und das ist großartig.
    Im Prinzip läuft im Rock Camp immer wieder alles darauf hinaus, dass man sich selbst lieben und akzeptieren muss. Wenn eine junge Teilnehmerin mit ihrem Gesang unglücklich ist, dann will ich wissen, woran das liegt: Ist sie traurig, weil man ihr ein Leben lang eingetrichtert hat, dass sie angeblich schlecht singt? Oder weil sie nicht genauso klingt wie ihre Lieblingssängerin? Ist sie so befangen, dass sie eigentlich gar nicht gehört werden möchte, weshalb ihre natürliche Stimme erstickt und nur ein leises, kraftloses Quieken herauskommt? Diese Fragen müssen sich alle Sängerinnen stellen. Ich glaube, je älter man wird, desto wohler fühlt man sich in seiner Haut. Und je entspannter man mit sich selbst umgeht, desto ausgeprägter klingt die eigene Stimme.
    Im Camp gibt es ein Musikarchiv, in dem Mädchen Musik hören können, von der sie sonst vielleicht nie erfahren hätten – dort gibt es nicht nur PJ Harvey und Joan Jett, sondern auch Ma Rainey, Cibo Matto und Yoko Ono. In der Musik gibt es viel mehr farbige und dicke Frauen, als man sich vorstellt; man kennt sie nur nicht, weil sie nicht bei MTV auftauchen. Ich bringe gern Sängerinnen mit, die die Vorstellungen der Mädchen von einer guten Stimme völlig auf den Kopf stellen Es gibt den Kids so viel Selbstvertrauen, wenn sie merken, dass alle etwas können und dass Berühmtsein nicht das Wichtigste ist; dass man auf sehr unterschiedliche Arten Erfolg haben kann und dass einzig und allein entscheidend ist, wie man Erfolg selbst definiert. Niemand bringt einem bei, dass das eigene Glücklichsein zählt, und diese schlichte Weisheit möchten wir den Mädchen im Rock Camp vermitteln.
    In einem der Camps freundete ich mich mit einem Mädchen an, das eine irre hohe Stimme besaß – irgendwie seltsam, aber kraftvoll und nahezu übernatürlich hoch. Wenn sie sprach, klang sie ganz normal, aber wenn sie sang, schien ihre Stimme stets in ein irrwitziges Jodeln ausbrechen zu wollen. Die Leute um sie herum waren völlig verdattert und wussten nicht, was sie mit ihr anfangen sollten. Die anderen Mädchen waren sogar genervt. Ich spielte ihnen dann Nina Hagen vor, sie hörten zu und fragten: »Würdest du das als Gesang bezeichnen?« Die wilden Schreie auf »New York New York« erfüllten den Raum, und ich sah, wie die kleine Jodlerin große Augen bekam. Ich wusste genau, dass sie gerade zum ersten Mal etwas hörte, das ihr vollkommen einleuchtend erschien. Nicht jedem Künstler ist ein solcher Moment vergönnt, in dem man jemanden entdeckt, der bereits vor einem selbst etwas Ähnliches gemacht hat, der dieselbe kreative Energie besitzt, sie auf ähnliche Weise kanalisiert und einem damit hilft, sich selbst besser zu verstehen. Ich musste siebenundzwanzig Jahre auf einen solchen Moment warten, doch ich war dabei, als meine kleine Freundin eine solche Erfahrung bereits mit acht oder neun Jahren machte. Und deshalb ist Feminismus so wichtig. Wenn man sich auf feministisch angelegte Projekte wie das »Rock ’n’ Roll Camp for Girls« einlässt – oder ein anderes Kunstfestival, eine politische Gruppe, eine Zeitschrift etc. –, verliert man leicht das große Ganze aus dem Blick oder lässt sich durch die viele Arbeit dort aus dem Konzept bringen. Man muss sich immer wieder klarmachen, dass man sich für die Nina Simones und die Yoko Onos künftiger Generationen engagiert, damit diese ihre eigenen Stimmen und ihr kreatives Potenzial erkennen. Ich habe eine Freundin, deren Musiklehrerin sie auf Schwerhörigkeit testen lassen wollte, weil sie so ungewöhnlich klang! Im Rock Camp wäre es bestimmt möglich gewesen, eine passende Sängerin zu finden, an der meine Freundin sich hätte orientieren können.
    In den Rock Camps versuche ich den Mädchen auch beizubringen, wie man sich selbstbewusst auf der Bühne präsentiert. Hinter jedem anderen Instrument kann man sich verstecken, zumindest teilweise. Die Stimme kommt jedoch direkt aus dem

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