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Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ditto Beth
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litt.
    Nachdem der Spezialist mit seinen Untersuchungen fertig war, setzte er sich langsam hin und sprach ganz offen mit mir: »Wenn wir Zeit hätten und ich nicht fürchten müsste, dass es Ihnen schadet, würde ich gleich ein ganzes Geschwader an Medizinstudenten einladen. In meinem gesamten Berufsleben habe ich so etwas noch nicht gesehen.« Durch die Sarkoidose geraten bestimmte Zellen, die mein Immunsystem produziert, um mich zu stärken, außer Rand und Band und rotten sich zusammen, wodurch sogenannte Granulome entstehen. Anschließend vermehren sich Mikroben, die gelernt haben, in den Granulomen zu überleben, obwohl sie diese eigentlich vernichten sollten. Daher kommt es zur Bildung von immer mehr Granulomen, und so geht es immer weiter. Es ist ein irrer Krieg, den mikroskopisch kleine Teile meines Körpers miteinander ausfechten – in meinen Augen, in meinem Gehirn. Offenbar war ich selbst unter den seltenen Fällen noch eine Besonderheit und mein Fall so spektakulär, dass der Arzt es bedauerte, mich seinen Sarkoidose-Studenten nicht vorstellen zu können. In meinem Auge hatten sich Granulome gebildet und meine Pupille teilweise platt gedrückt. Wenn das Gehirn betroffen ist, wird es lebensbedrohlich, denn das Gehirn gibt den Organen den Befehl, die Arbeit einzustellen. Es ist, als würden plötzlich alle Sinne aussetzen. Das Gehirn schaltet ab. Der Spezialist verschrieb mir ein anderes Steroid, eine Art Wunderdroge, die die Befehle meines Gehirns aufhob und meinen Körper wieder in den Normalzustand versetzte. Jedenfalls mehr oder weniger. Manchmal spüre ich noch Taubheit im Gesicht und warte dann einfach, bis das Gefühl wieder zurückkommt, ohne dabei auszuflippen.
    Meine Freundin Lyndell ist eine tolle Friseurin. Sie träumt immer wieder, dass ihr die Hände abgeschnitten werden und sie nie wieder mit Haaren arbeiten, nie wieder Locken zu federnden Kaskaden auffächern, einen Bob stutzen, mit einer Dose Haarspray und einigen Haarnadeln eine Skulptur errichten wird. Ich habe ihr gesagt, dass ich diese Angst kenne, weil ich weiß, wie es ist, wenn man auf einmal nicht mehr sprechen kann. Die Sarkoidose ist da, verborgen unter den Steroiden, und sie wird für immer bleiben. Sie ist chronisch, aber man hofft, dass sie weiter vor sich hin schlummert und nicht wieder ausbricht. Der Schauspieler Bernie Mac hatte Sarkoidose in den Lungen, die schon fast abgeklungen war, als er völlig unerwartet eine Lungenentzündung bekam und starb. Es ist eine äußerst seltene Krankheit, und als der Arzt mir die Diagnose mitteilte, war ich fix und fertig. Zuvor hatte ich bereits an Selbstmord gedacht – und jetzt sah es so aus, als wäre mein Körper meinem Geist einen Schritt voraus.
    Auch in früheren Jahren hatte ich öfter depressive Phasen gehabt. Ich war davon überzeugt gewesen, dass niemand in meiner Familie mich wirklich wollte. Na ja, vielleicht Tante Jannie, aber sie hatte sich anderen gegenüber sehr verletzend verhalten und war außerdem sowieso viel zu früh gestorben. Meine Mom hatte sich mit einem Loser zusammengetan und mich in Bezug auf meinen leiblichen Vater angelogen, weshalb ich befürchtete, dass sie meine kleine Schwester ebenfalls täuschen würde. Ich war sexuell missbraucht worden, seitdem ich denken konnte, und danach mit einer Reihe von Sexualpartnern zusammen gewesen, die mich sehr schlecht behandelten. Ich wusste, dass ich lesbisch war, und fürchtete mich vor der Hölle und vor Gott. Ich verliebte mich in meine beste Freundin, die mit meinem Bruder zusammen war. Meine Freunde zogen alle weg, und ich stand vor der Entscheidung, entweder in Arkansas zu bleiben und mich schwängern zu lassen oder wahnsinnig tapfer zu sein und ihnen zu folgen.
    Freddie machte mir klar, dass ich mich meinen Gefühlen stellen musste, diesem Leben voller verdrängter Traurigkeit, Verletzungen und Betrug. Wenn man mit jemandem intim ist, so wie ich mit Freddie, lässt man ihn so nah an sich heran, dass er alles sieht, sogar das, was man selbst nicht wahrnimmt. Freddie sah meine Verletzlichkeit und meine Ängste, er kannte den Ursprung meiner Einsamkeit und konnte die Verbindung zwischen den Kämpfen herstellen, die ich heute ausfocht, und dem, was ich in Arkansas durchgemacht hatte. So plausibel das alles war, so wenig konnte ich es selbst erkennen. Ich steckte zu tief drin, ertrank darin. Freddie half mir

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