Heavy Metal (German Edition)
kannte. Eine leichte Andeutung von abgestandenem Zigarettenrauch mischte sich hinzu.
„Meine Frau war seitdem nicht mehr hier oben. Und sie hat mir auch gesagt, dass sie sehr lange nicht mehr hier hinauf gehen wird“.
„Das kann ich nachvollziehen“, erwiderte Kamphaus, der seinen Blick interessiert durch das Teenie-Zimmer schweifen ließ. Ein großes rotes Pappherz zog seine Aufmerksamkeit an sich. Es prangte über dem Kopfende eines Futonbetts und war mit vielen Fotos beklebt, die Anna mit einem jungen Mann zeigte – Im Freibad, küssend, Arm in Arm, herumblödelnd. Gerd Wenisch folgte dem Blick das Kommissars.
„Das ist Annas Freund, Niels heißt er. Niels Blum. Ist ein netter Junge aus Euskirchen. Die beiden gingen über ein Jahr zusammen, wenn man das heute noch so sagt.“
„Sie hatten gar nichts von ihm erzählt“, sagte Kamphaus verwundert, während er näher an die Collage herantrat, um sich die Fotos genauer anzusehen.
„Sie haben ja auch nicht gefragt. Ich wusste nicht, dass es irgendwie wichtig sein könnte, dass Anna einen Freund hatte. Wir waren sehr mit uns selbst beschäftigt, nachdem sie uns vorgestern besucht haben und hatten keinen klaren Kopf dafür, was für Sie interessant sein könnte“.
„Natürlich Herr Wenisch“, gab Kamphaus zurück. „Sagen Sie, wie eng war das mit den beiden, war der Kontakt gut, oder hatten sie ab und zu Streit, vielleicht sogar aktuell?“
„Herr Kommissar, meine Frau und ich denken seit zwei Tagen ausschließlich darüber nach, was Anna dazu getrieben haben könnte, ihr und uns das anzutun. Natürlich haben wir auch über die beiden nachgedacht! Aber da gab es keinen Kummer, den wir bemerkt hätten. Sie waren von Anfang an wie Pech und Schwefel, planten jetzt schon, nächstes Jahr nach dem Abi zusammen ein Jahr ins Ausland zu gehen und solche Sachen. Niels ist an dem Abend auch sofort mit seinen Eltern zu uns gekommen. Wir haben unten zusammen gesessen, geweint und viel geredet. Niemand hatte eine Erklärung oder eine Idee. Der Junge ist genauso fertig wie wir alle.“
Während Gerd Wenisch mit ihm sprach, hatte sich Kamphaus umgewandt und die typischen Habseligkeiten einer 17-jährigen auf dem Weg zur Erwachsenen in Augenschein genommen, die sich auf einen Schrank, diverse Regale, eine Kommode und einen Schreibtisch verteilten. Klamotten, Schminkzeug, unzählige CDs und DVDs, Bücher, Schulkram, ein pinkfarbenes Notebook, ein i-Pod … Er empfand eine Mischung aus frisch aufgeflammter Neugier und Ärger. Ärger über sich und Manni, dass sie die Sache so lax angegangen waren und sich noch nicht einmal nach den Beziehungsverhältnissen von Anna erkundigt hatten. Ärger auch über seine persönliche Zurückhaltung dieser Familie gegenüber, da er sich an dem kleinen Unfall, den Frau Wenisch vor zwei Tagen bei ihrem Besuch hier erlitten hatte, durchaus mitschuldig fühlte. Das musste er sich nun langsam selbst eingestehen. Ärger auch darüber, dass er nach diesem Vorfall ein wenig zu sehr mit eingekniffenem Schwanz ermittelt hatte – und das sozusagen auch noch aus persönlichen Motiven.
Als 18jähriger hatte sich sein Cousin, mit dem er sehr eng befreundet gewesen war, mit Autoabgasen in der Garage seines Onkels das Leben genommen. Das war etliche Jahre her und Kamphaus dachte nur noch sehr selten daran, aber bei Selbstmordfällen schweiften seine Gedanken immer noch zuerst in die Vergangenheit zu seinem Cousin Christoph. Und er wusste noch genau, wie sehr die Familie damals unter der Situation zu leiden gehabt hatte, wie sehr die Besuche der Polizei, des Bestatters, der zahllosen Verwandten – wie sehr sie das alles genervt hatte, weil sie doch einfach nur in Ruhe trauern wollten.
„Herr Kamphaus?“
Er verbannte alle Gedanken mit einem kurzen Kopfschütteln aus seinem Hirn und wandte sich zu Gerd Wenisch um.
„Wenn Sie dann fertig wären würde ich gerne wieder runter gehen“.
„Ja, sicher. Noch einen kleinen Moment bitte“.
Kamphaus ging langsam zum Fenster an der dem Bett gegenüberliegenden Stirnwand. Ansonsten hatte der Raum nur noch zwei Dachluken zu bieten. Spielende Kinder auf der Straße, viele Einfamilienhäuser. In der Entfernung blühte der Raps auf zahlreichen Feldern, zwischen denen sich die A1 hindurch schlängelte. Gemessen an der Luftlinie war es von hier bis zu der Brücke unter der Anna den Tod fand nur ein Katzensprung. Er drehte sich wieder um und warf noch einmal einen Blick auf das gesamte Zimmer. Gerd
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