Heavy Metal (German Edition)
nicht mit ihrer Großmutter sprechen musste.
Der Asphaltbelag der Bonner Straße glänzte nass, als Kamphaus die Autotür in Zülpich zuschlug und auf die ihm schon bekannte Haustür zusteuerte. Er hatte gerade seinen Finger auf die Klingel gelegt, als ihm von Jessica Serrig geöffnet wurde. Er wurde knapp mit „Hi! Kommen Sie rein“ begrüßt und folgte ihr in das ausladende Wohnzimmer. Kamphaus nahm auf dem gleichen Sessel Platz, auf dem er schon vorgestern Nacht gesessen hatte. Jessica platzierte sich dieses Mal nicht gegenüber auf dem Sofa, sondern warf sich in den Sessel neben ihn. Der Kommissar fragte sich, welches ihrer Gesichter das Mädchen ihm wohl heute präsentieren würde. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie Jessica bei ihrem ersten Zusammentreffen mehrere Gefühlsextreme innerhalb von zehn Minuten dargeboten hatte. Sicher, sie hatte es alles andere als leicht. Der Vater im Koma, die Mutter suizidal … Kamphaus eröffnete so unverfänglich wie er konnte. Wobei er gar nicht richtig wusste, was er hier überhaupt in Erfahrung bringen wollte.
„Ist deine Oma nicht da?“
„Nee, die ist Einkaufen. Esther wohnt jetzt erst mal hier, war ja klar. Wenigstens solange, wie Iris in der Klapse ist“.
Gut, Kamphaus hatte es wieder mit der kleinen Zicke zu tun, die ihn schon einmal empfangen hatte. Ihm war klar, dass Jessicas Schnodderigkeit eine Kompensation ihres völlig durcheinander geratenen Gefühlslebens darstellen musste. Die Pubertät nicht zu vergessen. Vielleicht hatte sie sich diese Art auch einfach aus Selbstschutz vor irgendetwas angeeignet und wollte jetzt – trotz ihrer sicherlich vorhandenen Wut, Sorge und Trauer - einfach nicht das Gesicht verlieren. Teenies hatte er noch nie verstanden. Er konnte sich nicht vorstellen, einmal selber einer gewesen zu sein.
„Deiner Mutter geht es also den Umständen entsprechend gut?“
„War nur bis gestern im Krankenhaus, dann wurde sie hier nach Zülpich in die Klapse verlegt. Der Doc meint, dass sie vielleicht in einer Woche wieder entlassen werden kann. Toll, dann häng' ich hier mit meiner total durchgeknallten Mutter 'rum und darf mich auch noch um die kümmern“.
Jessica warf ihre langen schwarzen Haare zurück und schlug ein Bein unter ihren Po, um sich darauf zu setzen.
„Wollen Sie eigentlich was trinken, Kaffee oder so?“
„Nein, danke. Ich will auch gar nicht lange bleiben. Wollte nur mal gucken, wie es dir geht. Und ich wollte rausfinden, wovon du in der Nacht gesprochen hast, als wir hier waren. Du meintest damals, dass du Angst um deinen Vater gehabt hast. War ja schon superspät und alles ein bisschen hektisch und so. Da wollten ich dich auch nicht länger mit Fragen nerven.“
„Ich fahr jeden Tag mit Oma nach Euskirchen in die Klinik, um ihn zu besuchen. Das ist voll ätzend auf der Intensiv. Man darf immer nur kurz rein und Daddy hat diese Schläuche überall und wacht einfach nicht auf. Scheiße alles.“
Kamphaus kratzte sich am Hinterkopf.
„Ja, das ist es. Warst du deine Mutter auch besuchen?“
„Kurz. Gestern. Wir reden ja nicht viel zusammen. Sie hat nur geheult und ich hab sie nachher angeschrien, was sie sich überhaupt dabei gedacht hätte und so. Jedenfalls waren Esther und ich schnell wieder draußen. Oma meinte wohl, das wäre besser für mich und Iris.“
„Warum kommst du eigentlich so schlecht mit deiner Mutter klar, wenn ich dich das fragen darf?“
„Klar, dürfen Sie, warum nicht? Isses OK, wenn ich mir schnell was zu trinken hole?“
„Ja, sicher.“
Jessica wandte sich geschickt aus dem Sessel und querte das Wohnzimmer, um hinter einer Bruchsteinmauer zu verschwinden. Kamphaus hörte ein Glas klirren und beobachtete anschließend, wie das Mädchen mit einer Cola in der Hand wieder auf ihn zu kam. Nach einigen großen Schlucken nahm sie ihre Sitzposition ihm gegenüber wieder ein und sah ihm direkt in die Augen.
„Weil sie Daddy unglücklich macht.“
„Wie meinst du das?“
„So, wie ich‘s sage. Die beiden passen eigentlich echt nicht mehr zusammen. Die haben immer Streit! Wie gesagt, die ist voll ungerecht zu ihm und sie kommt auch überhaupt nicht darauf klar, wenn ich mal ein bisschen austicke oder so. Bei ihr muss immer alles heile Welt sein, da darf kein bisschen schief gehen, sonst haut es sie aus der Spur. Ihre Mutter, also Oma, die ist genauso drauf. Das nervt einfach tierisch.“
„Vielleicht gibt sich das ja auch später wieder. Sie braucht
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