Hebamme von Sylt
»Ich verlange, dass er auf dem Friedhof neben St. Niels begraben wird.« Und listig fügte er hinzu: »Am besten, ich rede mit dem Grafen darüber. Oder mit Baron Bauer-Breitenfeld, für den Okko früher gearbeitet hat. Beide Herren schätzen ihn sehr. Sie werden sich für seinen Bruder einsetzen.«
Das Verhalten des Pfarrers änderte sich schlagartig. Wahrscheinlich hatte er bereits sowohl von dem Grafen als auch von dem Baron Spenden erhalten, die er nicht einfach vergessen konnte. Murrend fügte er sich drein, beklagte, dass die Welt immer schlechter werde, dass fromme Bürger sich in die Gesellschaftvon Gesetzlosen begeben müssten und sogar die Obrigkeit nichts dagegen tue.
Er war mit seinem Lamento noch nicht fertig, als Okko ein Kästchen hinter seinem Rücken hervorholte, das bisher niemandem aufgefallen war. Seine Augen waren noch feucht, als er es dem Inselvogt hinhielt. »Heute Morgen in der Frühe ist Hauke mit einer schweren Kopfwunde zu mir gekommen, und ich habe ihn verbunden. Er wollte mir nicht sagen, wer für diese Wunde verantwortlich war. Das hat mich misstrauisch gemacht. Deswegen habe ich Haukes Versteck geöffnet.« Er sah seinen Bruder an, als wollte er ihn um Verzeihung für diese Indiskretion bitten. »Er dachte, ich hätte es nicht gemerkt, dass er meinen Bienenstock benutzte, um etwas zu verstecken, was anscheinend niemand finden sollte. Vor allem wohl die anderen Strandräuber nicht.« Wieder schimmerten seine Augen feucht, als er fortfuhr: »Nicht einmal ich. Sein Bruder! Dabei hat er mir früher immer alles anvertraut. Er wusste, dass ich ihn niemals verraten hätte. Wenn ich auch nicht billigte, was er tat. Er war doch alles, was ich hatte. Mein Vater tot, meine Mutter auch schon lange, meine Schwester bereits als Kind gestorben …« Er schluchzte trocken auf, und der Pfarrer machte einen Schritt auf ihn zu, um ihn zu trösten, indem er mit einer segnenden Geste eine Hand auf seine Schulter legte.
Tatsächlich schien diese Geste Okko Mut zuzusprechen. Er atmete tief durch und streckte dem Inselvogt die kleine Kiste noch nachdrücklicher hin, der sie bisher nicht ergriffen hatte, weil er sich anscheinend erst klar darüber werden wollte, ob es von Vorteil war, wenn er den Inhalt kannte. »Ich glaube, er hat etwas Schreckliches getan«, flüsterte Okko. »Diebstähle, Betrügereien … so was ist natürlich auch unverzeihlich. Aber Hauke hat immer nur das gestohlen, was er zum Leben brauchte.«
Der Inselvogt stellte die Kiste auf einer Kirchenbank ab und öffnete vorsichtig den Deckel. Dr. Pollacsek sah über seineSchulter und war derart überwältigt, als er deren Inhalt sah, dass er leise durch die Zähne pfiff und sich nicht um das missbilligende Schnalzen des Pfarrers scherte. Vor ihnen lag ein Collier von außergewöhnlicher Schönheit. Ein Halsband aus unzähligen diamantenbesetzten Ösen, das sich mit einem Saphir verband, der von Diamanten eingerahmt war. Unter ihm prangte, nach vier weiteren diamantenbesetzten Ösen, ein eiförmiger Sternsaphir.
Dr. Pollacsek verstand nicht viel von solchen Pretiosen und die anderen vermutlich noch weniger. Aber dass sie hier etwas besonders Kostbares und sehr Teures vor sich liegen hatten, war allen sofort klar.
»Wem mag das gehören?«, fragte der Inselvogt, der als Erster seine Sprache wiederfand. »Es ist mir kein Verlust gemeldet worden. Wem so etwas Kostbares gestohlen wird, der wird doch Zeter und Mordio schreien.«
»Vielleicht hat die Besitzerin das Fehlen des Schmuckstücks noch nicht bemerkt?«, fragte Dr. Pollacsek. »So ein Collier wird auch von einer sehr vornehmen Dame nur zu besonderen Anlässen getragen.«
Der Inselvogt wollte gerade etwas dazu sagen, da antwortete Okko Bendix: »Ich weiß, wem dieses Collier gehört. Ich habe es schon am Hals von Gräfin Katerina von Zederlitz gesehen.«
Als das Haus seines Bruders vor ihm auftauchte, atmete Marinus erleichtert auf. Die Kutsche stand vor dem Tor, Arndt und Katerina waren also noch nicht zur Einweihung des Gedenksteins aufgebrochen. Nun musste er es nur noch schaffen, seinen Bruder zur Seite zu nehmen, ohne dass Katerina mitbekam, was er ihn fragen wollte. Vermutlich würde Arndt ihm auch unter vier Augen nicht die Wahrheit gestehen, aber Marinus glaubte, ihn gut genug zu kennen, um beurteilen zu können, ob er log. Notfalls würde er ihn so lange provozieren, bis die Wahrheit aus Arndt herausplatzte. Was er tun würde mit derErkenntnis, dass sein Bruder fähig
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