Hebamme von Sylt
war, einen Mord in Auftrag zu geben, wusste er noch nicht. Aber darüber wollte er auch nicht nachdenken. Er ahnte, dass es irgendwo tief in ihm noch einen winzigen Funken Hoffnung gab, der erst ganz erlöschen musste, bis er imstande war, in Arndt den Menschen zu sehen, der er war. Fähig, sich ein Glück zu kaufen, indem er sein eigen Fleisch und Blut dem Elend preisgab, und ebenso fähig, einen Menschen ermorden zu lassen, der ihm gefährlich werden konnte. Noch dazu einen Menschen, den sein Bruder liebte! Wenn Marinus das glauben konnte, musste er sich damit abfinden, dass Arndt nur einen einzigen Menschen wirklich liebte: Katerina! Alle anderen positiven Gefühle waren anscheinend dieser abgöttischen Verehrung unterworfen. Die Liebe zu Elisa, zu Marinus, zu seiner Mutter, zu Hanna …
Mitten in seine Überlegungen drängte sich ein Fuhrwerk, das von der entgegensetzten Seite auf das Haus seines Bruders zufuhr. Der Kutscher trieb seine Pferde an, ihre Hufe wirbelten Staub auf, es sah aus, als zöge der Wagen einen Schleier hinter sich her, der nur mühsam folgen konnte. Marinus blieb stehen und legte die Hand über die Augen, um besser sehen zu können. Hoffentlich kam nicht ausgerechnet in diesen Minuten Besuch, der ihn um das Gespräch mit seinem Bruder bringen konnte.
Enttäuscht ließ er die Hand wieder sinken. Tatsächlich! Der Wagen hielt vor Arndts Haus, zwei Männer sprangen heraus, die aussahen, als hätten sie es eilig. Marinus erkannte die beiden trotz der Entfernung. Es handelte sich um den Kurdirektor und den Inselvogt, der nun in den Wagen hineinlangte und eine Kiste hervorholte, die er feierlich hinter Dr. Pollacsek hertrug, der bereits auf die Eingangstür zuging. Marinus wurde unruhig. Was ging da vor?
Er begann zu laufen, war aber viel zu weit entfernt, um am Haus seines Bruders anzukommen, bevor die beiden Herren sich anmelden konnten. Als er näher kam, stieg der Mann vom Bock, der den Wagen gelenkt hatte. Es war Okko, der Gärtner.Was hatte er mit dem Inselvogt und dem Kurdirektor zu schaffen? Wieso lenkte er einen Wagen, der nicht zum Hause des Grafen gehörte?
Das Gefühl, dass etwas Sonderbares vor sich ging, verstärkte sich. Obwohl Marinus sich müde und abgekämpft fühlte, versuchte er noch schneller zu laufen. Vielleicht konnte Okko ihm bereits einen Hinweis geben?
Aber der Gärtner war schon im hinteren Teil des Gartens verschwunden, wo es das kleine Haus gab, das er in den Sommermonaten bewohnte. Marinus öffnete die Eingangstür zur Villa, winkte das Dienstmädchen zur Seite, das sich ihm eilfertig näherte, und ging auf die Tür des Salons zu, hinter der er Stimmen hörte.
»Wir sind im Aufbruch«, sagte Arndt gerade. »Sie wissen ja, die Einweihung des Gedenksteins. Vorher wird es einen Empfang der Königin in der Villa Roth geben. Unsere Tochter ist bereits mit ihrer Gesellschafterin dorthin unterwegs.«
»Es wird nicht lange dauern«, sagte die Stimme, die Marinus dem Inselvogt zuordnete. »Nur eine kleine Auskunft.«
Marinus öffnete die Tür, grüßte kurz, machte nur einen einzigen Schritt in den Raum hinein und blieb dann stehen. Katerina sah ihn ungehalten an, denn natürlich war sein Äußeres nicht geeignet, sich Besuchern zu nähern, die dem gräflichen Paar ihre Aufwartung machten. Aber Marinus erwiderte ihren Blick, ohne zu erkennen zu geben, dass er den Grund ihrer Verdrossenheit verstand. Dann sah er Arndt an, der ihn scharf beobachtete, als wollte er mit den Augen eine Frage stellen, die Marinus auf die gleiche Weise beantworten sollte. Wusste sein Bruder, was sich in der letzten Nacht ereignet hatte?
Heye Buuß und Julius Pollacsek hatten Marinus mit einer kleinen Verbeugung bedacht und sich schnell damit abgefunden, dass er anscheinend nicht die Absicht hegte, sie förmlich zu begrüßen. Da sie wussten, dass er zur Familie gehörte, wandten sie sich wieder dem Zweck ihres Besuches zu.
Der Inselvogt öffnete die kleine Holzkiste und hielt sie Katerina hin. »Kennen Sie dieses Collier?«
Marinus sah, dass seine Schwägerin sich erschrocken vorbeugte. Dann stieß sie einen kleinen Seufzer aus. »Das gehört mir.«
Graf Arndt trat an ihre Seite. »Dein Collier, das du eigentlich zur Verlobungsfeier tragen wolltest!«
Katerina sah ihn entschuldigend an. »Ich hatte es verlegt. Die Dienstmädchen haben das ganze Haus danach abgesucht, es aber nicht gefunden.«
Graf Arndt gelang es nicht, seinen Unmut zu verbergen. »Das Collier hat meine Mutter dir zur
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