Hebamme von Sylt
bereits auf die Einweihung des Gedenksteins vorbereitet, die in wenigen Stunden stattfinden sollte. Entsprechend ungehalten war er. »Was ist passiert?«
Dr. Pollacsek schluckte seinen Widerwillen herunter und wies auf den Toten. »Hauke Bendix ist ermordet worden«, erklärte er knapp. »Michelsen wird seinen Bruder verständigen.«
»Schon wieder ein Mordopfer? Erst der alte Nermin und nun Okkos Bruder?« Der Inselvogt unterzog den Toten einer Untersuchung, obwohl Dr. Pollacsek ihm erklärte, dass Dr. Nissen bereits einwandfrei den Tod festgestellt hatte und auch dessen Ursache. Dann schritt Heye Buuß den Kirchengang auf und ab und erging sich in Mutmaßungen, obwohl der Pfarrer ihn händeringend bat, das Haus des Herrn nicht für solche niederen Gedanken wie die Suche nach einem Mörder zu missbrauchen.
Der Inselvogt schien auf den Pfarrer hören zu wollen, denn er beendete seine laut vorgetragenen Überlegungen. »Es wird sich um einen Streit zwischen den Strandräubern handeln. Sie haben sich um die Beute gerauft, und einer hat dann zugeschlagen.«
»Der Mann war bereits verletzt, als ihm die tödliche Wunde beigebracht wurde. Wahrscheinlich wäre er glimpflich davongekommen,wenn es nicht bereits diese tiefe Kopfwunde gegeben hätte.« Dr. Pollacsek zeigte auf einen Zipfel des Kopfverbandes, den Dr. Nissen während seiner Untersuchung gelöst und dem Opfer in die Jackentasche gesteckt hatte.
Heye Buuß holte ihn heraus und inspizierte ihn, als könnte er damit Aufschlüsse über den Tathergang und den Täter gewinnen. »Ein schwieriger Fall«, murmelte er. »Ganz anders als beim alten Nermin. Da wissen wir, dass die flüchtige Gefangene ihn auf dem Gewissen hat.« Er unterband einen Einwand des Kurdirektors, indem er schnell weitersprach: »Wie sollen wir die Strandräuber befragen? Die verstecken sich, sie lügen, sie haben kein Zuhause, in dem wir sie antreffen könnten.«
»Gottlose!«, begann der Pfarrer wieder zu jammern.
Der Inselvogt nickte ihm zu. »Besser, die Strandräuber hätten diese Angelegenheit selbst geregelt. So wie immer! Wenn einer von denen stirbt, wird er von den anderen irgendwo verbuddelt. Und nun? Nun müssen wir uns mit dieser unangenehmen Angelegenheit beschäftigen.« Tadelnd blickte er den Kurdirektor an, den er anscheinend für den Schuldigen hielt, weil der sich unterstanden hatte, den Toten nach Westerland zu bringen.
Dr. Pollacsek spürte, dass die altbekannte Abneigung gegen Heye Buuß im Begriff war, die Oberhand zu gewinnen. Er war froh, dass die Kirchentür sich ein weiteres Mal öffnete und Michelsen einen Mann hereinschob, den er sofort als Okko Bendix erkannte. Der arme Mann schien Angst vor den letzten Metern zu haben, die ihn zu seinem toten Bruder führen sollten. Zögernd setzte er Schritt vor Schritt, von Michelsen immer wieder mit einem ermutigenden Stoß in den Rücken bedacht.
Schließlich stand er vor Hauke, und die Tränen sprangen ihm in die Augen. »Es musste ja mal ein schlimmes Ende nehmen mit ihm«, stöhnte er. »Das hat schon unser Vater gesagt. Gott sei Dank, dass er diese Schmach nicht mehr miterleben musste.«
Der Inselvogt mischte sich ein. »Hast du eine Vorstellung, wer das getan haben könnte? Einer der anderen Strandräuber! Habe ich recht? Unter denen hat es manche Rauferei gegeben, so wird es auch in diesem Fall gewesen sein.«
Er erwartete keine Entgegnung und wandte sich dem Pfarrer zu, um mit ihm zu klären, wie Hauke Bendix zu beerdigen sei. Wie zu erwarten, wies der Pfarrer es weit von sich, seinen Kirchhof zur Verfügung zu stellen, wo nur ehrbare Sylter Christen ihre letzte Ruhe fanden.
Wieder traf Dr. Pollacsek ein finsterer Blick des Inselvogts, der am liebsten verfügt hätte, den Toten wieder zum Strand zu bringen, wo er gefunden worden war, und darauf zu hoffen, dass seine Kumpanen sich der Leiche annahmen. Aber Dr. Pollacsek erklärte noch einmal, dass er für Hauke ein würdiges Begräbnis wünschte. »Wenn nötig, werde ich die Kosten übernehmen.« Er warf dem Bruder einen Blick zu, der ihn dankbar ansah. »Okko Bendix ist ein anständiger Kerl. Er soll ein Grab haben, an dem er um seinen Bruder trauern kann.«
Der Pfarrer seufzte und drehte die Augen zum Kirchgewölbe. Der Inselvogt seufzte ebenfalls und meinte: »Dann eben auf dem Friedhof der Heimatlosen.«
Aber Pollacsek schüttelte den Kopf. »Dort werden nur Namenlose beerdigt, die angespült wurden. Da gehört Hauke nicht hin.« Er wandte sich an den Pfarrer.
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