Hebamme von Sylt
auf das Haar. »Wirst du dich morgen für mich nach Marinus umhören?«
Freda nickte, ohne den Kopf zu heben. »Gut, dass ich das Flittchen aus dem Haus geworfen habe! Diese Strandräuberbraut meinte, sie könnte es sich bei dir gemütlich machen. Aber wenn es um Strandräuber geht, spiele ich nicht mit.«
Geesche verstand sie nicht. »Von wem redest du?«
»Von der Frau, die gestern in deinem Haus ein Kind bekommen hat.«
»Mit Dr. Nissens Hilfe?«
Freda nickte. »Aber mach dir keine Sorgen. Sie ist weg.«
»Danke, Freda.«
Geesche verließ die Kate und machte sich auf den Weg zu ihrem Haus. Der Gedanke, sich ein frisches Nachthemd über den Kopf zu ziehen und sich dann in ihren Alkoven zu legen, ihre Nase in duftende Bettwäsche zu stecken und am nächsten Morgen saubere Kleidung anzuziehen, machte sie glücklich. Somüde sie noch gewesen war, als sie nach Westerland hineingeschlichen war, so ausgeruht fühlte sie sich nun. Wenn es ihr gelang, ungesehen zu ihrem Haus zu kommen, wurde vielleicht alles gut. Selbst die jähe Erkenntnis, dass sie den Schlüssel zu ihrem Haus auf Fredas Tisch vergessen hatte, konnte daran nichts mehr ändern. Sie würde einen Weg finden, ins Haus zu gelangen. Irgendwie! Den Gedanken, umzukehren und den Schlüssel zu holen, verwarf sie gleich wieder. Plötzlich kam es ihr auf jede Minute an. Sie wollte nach Hause!
Wie gut, dass es Freda gab! Wie glücklich konnte sie sich schätzen, Freda ihre Freundin zu nennen. Freda, die Frau, die sie so gemein betrogen hatte …
XXI.
Die Nacht war schwer geworden, immer schwerer, je weiter sie fortschritt. Sie war nicht wie diese leichten Sommernächte, die gegen Morgen in den Himmel aufstiegen, und auch nicht wie die klaren Winternächte, die am Boden festfroren. Diese Nacht wurde von einem Wind gehalten, der nicht zu ihr zu passen schien. Wie ein Herbstwind in einer Sommernacht.
Hannas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Wie immer, wenn sie nach Zuspruch suchte, tastete sie in die Tasche unter ihrer Schürze, wo sie das weiße Band aufbewahrte, das sie sich nur noch ins Haar band, wenn sie allein war. Nach wie vor war es das Symbol ihrer Freundschaft mit der Comtesse. Sie musste es nur festhalten, dann war vielleicht auch diese Freundschaft zu halten.
Sie hatte sich in Geesches Garten, in der Nähe des Stalls hinter dem Steinwall verborgen, auf dem die Sylter Rosen besonders üppig wuchsen. Hier hatte sie Dr. Nissens Fenster im Blick, hinter dem noch ein schwaches Licht zuckte, und auch den Weg, der auf das Haus zuführte. So dunkel diese Nachtauch war, seit Hanna sich an die winzigen Schimmer gewöhnt hatte, die es hier und da gab, an die hellen Punkte, die der Mond durch die Wolkenlücken auf die Erde sprenkelte, an den schwachen Schein, der aus Dr. Nissens Fenster kam, konnte sie jede Bewegung erkennen und sah auch die Schatten, denen ein kleines, schwaches Licht reichte, um sie zum Tanzen zu bringen. Die Schatten der Nachtfalter, der Gräser, der Büsche. Auch den Schatten und die Bewegung eines Menschen würde sie schnell ausmachen, daran hatte Hanna keinen Zweifel. Diesmal würde sie alles richtig machen. Die Comtesse würde mit ihr zufrieden sein und wieder ihre Freundin sein wollen.
Vor dem Eingang der Villa Roth hatte sie die Hoffnung gehabt, die Comtesse würde sie bitten zu warten, damit Hanna sie nach dem Empfang der Königin zum Friedhof der Heimatlosen begleitete. Doch Elisa von Zederlitz hatte sie mit einer fahrigen Geste fortgeschickt. »Es reicht, wenn du heute Abend da bist, um mir beim Auskleiden zu helfen.«
Aber Hanna hatte trotzdem gewartet. Und sie war dem feierlichen Zug, der sich von der Villa Roth zum Friedhof der Heimatlosen bewegte, heimlich gefolgt. Allen voran die Königin, direkt hinter ihr Fürst Alexander von Nassau-Weilburg mit seiner Verlobten am Arm, dann Graf und Gräfin von Zederlitz, die hinter ihrer Tochter hergingen. Die Sylter hatten am Wegesrand gestanden und all das Fremde, Schöne, Elegante, Vornehme bestaunt, und Hanna hatte sich zu einem Teil dieser Neugierigen gemacht und sich unter ihnen versteckt. Genau wie Ebbo, der vorgab, an der Königin interessiert zu sein, und doch nur Augen für Elisa hatte.
Ein paar zerlumpte Kinder versuchten dem feierlichen Zug zu folgen. Sie gehörten zu denen, die es mehrmals genossen hatten, von einer Gräfin Vrancea etwas vorgelesen zu bekommen. Sie war für diese Kinder so fremd gewesen, dass sie nicht fremder werden konnte, als sie sich in eine
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