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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Königin verwandelt hatte. Aber die Kinder wurden von den Männern des Inselvogtsweggeschickt. Die waren in diesen Stunden von der Suche nach Geesche Jensen entbunden worden, um sicherzustellen, dass die Königin nur aus angemessener Entfernung bejubelt wurde. Hier schritt weder die Schriftstellerin Carmen Sylva noch das Inkognito Gräfin Vrancea durch Westerland, sondern Königin Elisabeth von Rumänien, Gemahlin König Carols I. Die Kinder konnten und wollten es nicht verstehen, aber da die Königin sie mit keinem Blick, keiner Geste ermunterte, fanden sie sich schließlich damit ab, dass die Frau in dieser Stunde eine andere war als diejenige, die ihnen am Strand gelegentlich etwas geschenkt hatte, was sie nie zuvor bekommen hatten: Zeit und schöne Worte!
    Hanna schreckte auf, weil sich etwas verändert hatte. Verwirrt blickte sie um sich, tastete mit den Augen den Weg ab, lauschte mit einer Verzweiflung, die das Blut in ihren Ohren zum Rauschen brachte. Dann sah sie, dass das Licht hinter Dr. Nissens Fenster erloschen war. Erleichtert atmete sie auf. Er würde schlafen, wenn Elisa und Ebbo erschienen. Eine Gefahr weniger!
    Ebbo hatte nicht daran glauben können, dass die Comtesse wirklich bereit war, das Risiko einzugehen. Am Arm des Fürsten, als zukünftige Verwandte der Königin, war sie ihm so fremd geworden, dass der Gedanke an die schönen Stunden mit ihr das Fremde nicht auslöschen konnte. Hanna hatte es ihm angesehen. Er bereute, dass er, statt dieser Zeremonie beizuwohnen, nicht das Angebot eines Fischers angenommen hatte, dessen Netze zu flicken. Er schämte sich seiner Holzschuhe, seiner schäbigen Hose und der ausgefransten Hosenträger, die sie hielten. Er schämte sich, weil seine Haut tiefgebräunt war, seine Arme muskulös waren, seine Augen strahlend und naiv, sein Gesicht offen und ehrlich, seine Frisur das Ergebnis eines ungeschickt geführten Rasiermessers. Diese Scham war nicht neu, aber Hanna glaubte, dass Ebbo nun das erste Mal schwer unter der Scham litt. Seitdem er zusehenmusste, wie Elisa von Zederlitz, die Verlobte des Fürsten von Nassau-Weilburg, hinter der Königin von Rumänien das weiße Tor zum Friedhof der Heimatlosen durchschritt und sich zu ihrer Linken stellte, während die Königin ihre Ansprache hielt, litt er. Und Hanna hatte gesehen, dass er sich krümmte wie unter einem großen Schmerz, als Elisa mit ihrer hellen, klaren Stimme die Worte vorlas, die nach der Anweisung der Königin in den Gedenkstein gemeißelt worden waren. »Wir sind ein Volk vom Strom der Zeit …«
    Ebbo hatte sich, während Elisa las, langsam aufgerichtet, aber nicht die Frau, die er liebte, angesehen, sondern ihren Verlobten. Die Augen Alexander von Nassau-Weilburgs hatten wohlgefällig auf Elisa von Zederlitz gelegen, er schien sehr zufrieden mit ihr zu sein, mit ihrem natürlichen, hübschen Aussehen, ihrer ungekünstelten, entzückend naiven Art, sich die Worte des Hofpredigers Rudolf Kögel zu eigen zu machen, die Königin Elisabeth für den Gedenkstein ausgesucht hatte. Und Ebbo litt nun auch an der Sicherheit, mit der Elisa sich präsentierte, zu der nur eine junge Frau ihres Standes fähig war. Der Neid hatte aus seinen Augen gesprüht, während er den Fürsten beobachtete, und ein Abscheu, den jeder erkannt hätte, dessen Blick auf ihn gefallen wäre. Aber da alle nur Augen für die Comtesse hatten, war Ebbo vor Entlarvung verschont geblieben.
    »Es ist das Kreuz von Golgatha / Heimat für Heimatlose!«
    Beifall war über das schlichte Rechteck hinweggebraust, das bis zu diesem Tag so wenig Beachtung erfahren hatte wie die verlorenen Seelen, die dort zur ewigen Ruhe gebettet worden waren. Elisa hatte den Applaus der Sylter mit einem winzigen Lächeln quittiert, ihren Verlobten dagegen mit einem umso strahlenderen Lächeln bedacht, als er ihr mit solch glücklichem Stolz in die Augen sah, dass jeder von seiner großen Liebe zu seiner Verlobten überzeugt war. Hanna hatte sich über die Augen gewischt, damit ihre Gefühle sie nicht verrieten. Einmaldieses Leben führen! Einen einzigen Tag an der Stelle der Comtesse, an diesem Punkt, in dieser Gesellschaft stehen, unter dieser Aufmerksamkeit! Hanna wäre bereit gewesen, Jahre ihres Lebens dafür zu geben!
    Dr. Pollacsek war nach vorn getreten; augenscheinlich hatte er nicht viel Zeit gehabt, sich angemessen für diesen denkwürdigen Augenblick zu kleiden. Er wirkte gehetzt, trug ein Hemd, das nicht zu seiner schwarzen Jacke passte, und eine

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