Hebamme von Sylt
waren voller Blut.
»Rosemarie!«
Als er sein Zimmer verließ, um ins Esszimmer hinabzusteigen, trug er einen frischen Verband. Die Wunde schmerzte noch heftiger, er würde sich an diesem Tag im Garten ausruhen, damit sie nicht erneut anfing zu bluten.
Katerinas Tür öffnete sich in diesem Augenblick. Arndt blieb auf dem Treppenabsatz stehen und sah ihr entgegen. Als sie ihn erreicht hatte, küsste er ihr die Hand. »Ich hoffe, es geht dir besser, Liebes?«
Sie lächelte. »Tatsächlich hat mir der Schlaf gutgetan.«
Er reichte ihr seinen Arm, Seite an Seite gingen sie die Treppe hinab, sehr langsam, sehr gleichgültig, durch und durch leidenschaftslos.
»Wie geht es deiner Hand?«, fragte Katerina.
Aber das Pochen an der Eingangstür enthob Graf Arndt einer Antwort.
Katerina sah ihren Mann fragend an. »Wer kann das sein? So früh!«
Arndt gab Eveline, die aus der Küche geeilt kam, einen Wink. »Bitte nur jemanden herein, der einen guten Grund angibt, uns so früh zu stören.«
Er führte Katerina ins Esszimmer und schloss die Tür hinter sich. »Schläft Elisa noch?«
Katerina nahm am Tisch Platz und winkte nach Rosemarie, damit sie ihr frische Milch eingoss. »Eveline sagt, sie hat noch nicht nach ihr geschellt.« Katerina schenkte ihm ein Lächeln, das ihm für Augenblicke die ganze Last von den Schultern nahm. »Ich bin so stolz auf unsere Tochter, Arndt! Wie arm wäre doch unser Leben, wenn es Elisa nicht gäbe! Das ist mirwährend der Einweihung des Gedenksteins mal wieder bewusst geworden. Elisa ist wunderbar! Unsere Tochter macht mich glücklich.«
Sie hörten eine laute Stimme, kurz darauf klopfte Eveline an die Tür und meldete: »Der Inselvogt ist da. Er sagt, es ist dringend.«
Graf Arndt, der diesen Augenblick gerne noch länger festgehalten hätte, seufzte. »Also gut, bitte ihn herein.«
Heye Buuß hatte sich für diesen Besuch Mühe mit der Kleidung gegeben. Sein Hemd und seine Hose waren sauber, sogar die Holzschuhe, die er an den Füßen hatte, waren weiß gescheuert worden. Sein Gesicht glänzte rot, als hätte er es ebenfalls mit der Bürste bearbeitet, nur seine Haare stachen in alle Richtungen ab, als wäre keine Zeit mehr gewesen, sich auch um deren Zustand zu kümmern. »Bitte vielmals um Vergebung, dass ich störe! Aber es muss sein! Ich komme in meiner Eigenschaft als Inselvogt.«
Katerina antwortete nicht, sondern nippte an ihrer Milch, Arndt entschloss sich, jovial zu sein, und bot dem Inselvogt Platz an. »Wenn Sie eine Tasse Tee mit uns trinken möchten …«
Zögernd und sogar ein wenig ängstlich nahm Heye Buuß das Angebot an und ließ sich umständlich auf dem Stuhl nieder, den Rosemarie für ihn vom Tisch wegrückte. »Sie wissen ja, Herr Graf, was letzte Nacht passiert ist.«
Arndt nickte. »Dr. Nissens Tod.«
»Er wurde erstochen!«
»Ich habe ihn gesucht, weil es meiner Frau nicht gut ging. Im ›Alten Jessen‹ hörte ich dann, warum ich ihn nicht finden konnte.« Arndt lächelte und hielt es für angebracht, die Erklärung anzufügen: »Mein Bruder hatte mich überredet, dort einzukehren.«
Doch Heye Buuß hörte nicht auf seine Worte. Mit einer Miene, wie sie bedeutungsvoller nicht sein konnte, griff er in seine Hosentasche. Was er in Händen hielt, war zunächst nichtzu erkennen, denn er schloss seine rechte Faust so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervorstachen. Sein Gesichtsausdruck wurde nun bedauernd, mitfühlend, beklagend … dann öffnete er die Faust. »Nach der Gravur müsste sie Ihnen gehören, Herr Graf.«
Arndt atmete tief ein und aus. »Meine Taschenuhr. Ich habe sie noch gar nicht vermisst.«
»Wir haben sie in Dr. Nissens Zimmer gefunden.«
Katerina sah den Inselvogt erstaunt an. »Wie kommt sie dorthin?«
»Die Antwort auf diese Frage hatten wir uns von Ihnen erhofft.« Heye Buuß sah den Grafen fragend an. »Er hatte sie gut versteckt. Warum? Und wie kommt es, dass Sie die Uhr nicht vermisst haben? Ich glaube … ich habe sie bisher täglich bei Ihnen gesehen.«
Graf Arndt schlug die Beine übereinander und zwang sich zur Ruhe. »Da müssen Sie sich geirrt haben. Ich habe mehrere Taschenuhren.«
»Dann gibt es nur eine Erklärung«, meinte Heye Buuß, und Arndt fand es unangenehm, dass er ihn dabei sehr aufmerksam musterte. »Dr. Nissen hat Ihre Uhr gestohlen!«
Katerina lachte verächtlich. »Dr. Nissen? Ich bitte Sie!«
Nun war Heye Buuß’ Blick voller Triumph. »Wir haben uns wohl alle in dem Doktor getäuscht, verehrte
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