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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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kommen Sie schon!«
    Vorsichtig ließ Marinus sich auf der anderen Seite von der Fensterbank gleiten. Zum Glück war es dunkel im Raum. Aber die Gestalt unter dem schneeweißen Laken war dennoch gut zu erkennen. Auch das Messer, das in seinem Leib steckte. Und sogar das Blut, das nicht rot, sondern schwarz aussah und im Mondlicht, das schwach hereinfiel, klebrig glänzte.
    Marinus packte der Ekel. Er musste würgen und war drauf und dran, kopflos aus dem Fenster zu springen und zu Dr. Pollacsek zurückzukehren. In Gedanken sah er Arndt neben diesem Bett stehen. Das Messer erhoben. Den wehrlosen, schlafenden Mann vor sich. Er sah seinen Bruder ausholen, das Messer schwingen, sein verzerrtes Gesicht, als es in Dr. Nissens Leib fuhr. Er hörte den erstickten Schrei des Arztes, Arndts Stöhnen, weil er all seine Kraft hatte aufwenden müssen, um das zu vollenden, was er vor sechzehn Jahren begonnen hatte … Ja, nun war Marinus sicher. Sein Bruder, den er ein Leben lang bewundert hatte, war ein Mörder. Aus Liebe war in ihm ein Hass entstanden, der ihn zum Mörder gemachthatte. Obwohl das eine Gefühl eigentlich das andere ausschloss …
    Heye Buuß hatte indessen das Zimmer verlassen, Marinus hörte ihn in der Küche rumoren. Kurz darauf glomm ein kleiner Schimmer in dem Türspalt zum Flur auf, und der Inselvogt erschien wieder mit einer Kerze in der Hand. Er leuchtete Dr. Nissens Leiche ab, bis er zu der Ansicht kam: »Da ist nichts mehr zu machen.« Dann sah er Marinus an und schien zu merken, wie es um ihn bestellt war. »Es hilft nichts, wir müssen sein Zimmer durchsuchen«, sagte er. »Sehen Sie währenddessen einfach nicht zum Bett, dann wird es schon gehen.«
    Eine halbe Stunde später hatte Heye Buuß ein Päckchen mit Kaffeebohnen gefunden, aber da das als Beweis nicht ausreichte, legte er es achtlos zur Seite. Dr. Pollacsek, der lediglich auf Hörweite ans Fenster herangekommen war, rief er zu: »Außer ein paar Kaffeebohnen ist hier nichts zu finden.«
    Marinus öffnete Dr. Nissens große, wuchtige Arzttasche. Ein Medikament nach dem anderen nahm er heraus, ein kleines Nadelkissen mit zwei Nadeln und einem dunklen Faden, das er sich nicht erklären konnte, schließlich hielt er ein Schlafmittel in Händen. »Das könnte er dem Kurdirektor gegeben haben.«
    Heye Buuß betrachtete es mit herabgezogenen Mundwinkeln. »Könnte! Beweisen lässt sich das aber nicht. Das ist bestenfalls ein Indiz, kein Beweis.«
    Nachdem Marinus die Arzttasche leer geräumt hatte, wollte er gerade die Fläschchen und Schachteln wieder zurücklegen, da stutzte er. Die Tasche erschien merkwürdig gepolstert, das Futter bauschte sich, als gäbe es dahinter etwas, was den Inhalt der Tasche schützen sollte. Marinus tastete dieses Polster ab, dann sagte er zum Inselvogt. »Kommen Sie mit der Kerze hierher. Ich glaube, ich habe was gefunden.«
    Schon kniete Heye Buuß neben ihm und hielt die Kerze so, dass die Tasche gut zu sehen war. So gut, dass Marinus den Faden entdeckte, der an der oberen Kante der Tasche aus demFutter stach. Vorsichtig nahm er ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und zog daran. Er löste sich leicht, als habe der Sattler, der diese Tasche hergestellt hatte, einen Schneider, der sein Handwerk nicht verstand, damit beauftragt, das Futter in die Tasche zu nähen. Als Marinus den Faden in der Hand hielt, klaffte ein handbreites Loch zwischen Leder und Futter.
    Er wollte hineingreifen, wurde aber von Heye Buuß daran gehindert. »Das ist meine Aufgabe!«
    Mehrmals fuhr seine Hand hinein, einmal, zweimal, immer wieder. Dann hielt er viel Geld in Händen. Sehr viel! So viel, dass sich keine vernünftige Erklärung dafür finden ließ. Nur eine …
    »Geesche Jensen ist nicht die Diebin!«, sagte Marinus.
    Heye Buuß sah ihn scharf an. »Freuen Sie sich nicht zu früh. Eine Mörderin ist sie auf jeden Fall! Oder haben Sie vergessen, dass der alte Nermin tot ist?«
    Marinus war drauf und dran, die Umstände von Geesches Flucht zu verraten, aber er hielt an sich. Heye Buuß erhob sich und rief Dr. Pollacsek ans Fenster. Die Kerze flackerte im Wind, aber sie erlosch nicht. So konnte der Kurdirektor sehen, was der Inselvogt in Händen hielt.
    Plötzlich schien Dr. Pollacsek den Toten in dem Raum zu vergessen. »Also habe ich doch recht gehabt?«
    Heye Buuß reichte ihm das Geld. »Zählen Sie nach. Dann wissen wir mehr.«
    Erneut kniete er sich neben Dr. Nissens Arzttasche und griff in das Futter. Marinus hatte sich erhoben und

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