Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
Vom Netzwerk:
sah auf ihn herab. Ihm fiel auf, dass Dr. Nissen dieses Futter offensichtlich später hatte einarbeiten lassen. Es war eigentlich viel zu groß für die Tasche, aber dadurch bot es viel Platz für etwas, was gut versteckt werden sollte. Also war Dr. Nissen mit dem Vorsatz nach Sylt gekommen, sich hier Geld zu verschaffen und es in seiner Arzttasche sicher zu verstecken? Marinus verstand die Welt nicht mehr. Kopfschüttelnd stand er da, während dieMutmaßungen durch seinen Kopf jagten. Diesen Mann hätte Geesche beinahe geheiratet! Oder … hatte er Geesche vielleicht heiraten wollen, weil er auf Sylt einen Neuanfang suchte, der ihn auf dem Festland längst verwehrt war?
    Marinus wollte dem Inselvogt gerade vorschlagen, sich über Dr. Nissens Vorleben zu informieren, da zog Heye Buuß schon wieder etwas aus dem Futter der Arzttasche. Eine Taschenuhr! Marinus wusste, wem sie gehörte, noch ehe der Inselvogt sie aufklappte und die Gravur entzifferte.

XXIV.
    Graf Arndt von Zederlitz öffnete blinzelnd die Augen und sah zum Fenster. Ein grauer Morgen stand davor. Anscheinend war es noch früh, die Sonne war noch nicht aus dem Watt gestiegen. Aber die Luft, die hereinwehte, war lau, sie roch nach Meer und Sand. Möwen kreisten bereits über der Insel, er hörte ihr heiseres Schreien. Dann blökte ein Schaf, ein Wagen ratterte vorbei, der Kutscher schimpfte mit den Pferden. Ganz allmählich rückte der Tag näher, verband sich mit dem vorherigen und allen weiteren, die vorangegangen waren. Kein Wunder, dass die Zeit immer schwerer wurde und jeden Tag an Gewicht zunahm! Als Arndt aus dem Schlaf in die Wirklichkeit zurückgefunden hatte, glaubte er, sich die lange Kette an Tagen, Wochen, Monaten und Jahren nicht mehr aufbürden zu können. Es schien, als wäre er bald nicht mehr fähig, unter ihrer Last den Kopf anzuheben und sich aufzurichten und müsste über kurz oder lang zusammenbrechen. Vorsichtig tastete er nach seiner Hand. Die Wunde schmerzte, er würde Rosemarie um einen neuen Verband bitten müssen.
    Er drehte sich weg von dem grauen Morgen und versuchte, sich hinter seinen geschlossenen Lidern zu verstecken. Nicht die Augen öffnen, nichts sehen! Nicht Dr. Nissens bleichesGesicht, die eingefallenen Augäpfel, den zum Schrei geöffneten Mund, nicht Hauke Bendix’ wächserne Züge und auch nicht Geesche Jensens fragenden Blick. Alles nur Träume, die er nie geträumt hatte. Auch das Paar, das vor ihm geflohen war. Er ein junger kräftiger Bursche, sie unter einem Umhang verborgen. Ebenfalls eine vage Erinnerung, vielleicht nur eingebildet. Das Collier aber funkelte vor seinen Augen, als läge es tatsächlich vor ihm, als spiegelten sich unzählige Lichter darin. Es schimmerte auf zarter Haut, weckte Funken in den Augen seiner Besitzerin und Stolz in dem Mann, zu dem sie gehörte. Wie gerne wäre er zu Katerina gegangen, hätte sich unter ihre Decke geschoben, dafür gesorgt, dass sie nicht aufwachte, nur spürte, dass sie in seinen Armen gut aufgehoben war, und zuließ, dass er sich an sie schmiegte. Aber Katerina war weit weg. Viel weiter von ihm entfernt als den Abstand zwischen zwei Türen. Unerreichbar!
    Als er mit der Mitteilung nach Hause gekommen war, dass Dr. Nissen nicht mehr lebte, war sie Zentimeter für Zentimeter von ihm abgerückt. Er hatte es nicht verhindern können. Je inständiger er die Hände nach ihr ausgestreckt hatte, umso nachdrücklicher war sie zurückgewichen. Ihre Migräne, ihre Müdigkeit, die Verlobungsfeier, die anstehende Hochzeit, Elisas Aussteuer … Er hatte mit der Frage dagegengehalten, wer Dr. Nissen auf dem Gewissen haben mochte, aber darüber wollte Katerina nicht reden. Sie hatte sich nur noch ein Stück weiter von ihm entfernt. Bis sie beide zu Bett gegangen waren und er sie endlich zurückholen konnte in seine Wunschbilder. Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, hatte sie sich so verhalten, als hielte sie ihn für den Mörder.
    Als er das nächste Mal erwachte, war der graue Morgen blau geworden, der Wind hatte sich erwärmt, die Luft war angefüllt mit neuen Gerüchen. Die Dienstmädchen hatten das Frühstück zubereitet. Es wurde Zeit, sich zu erheben und sich den nächsten Tag aufzubürden. Graf Arndt stöhnte, als er aufstand,und blieb lange gebückt vor dem Bett stehen, ehe er sich ganz langsam aufrichtete. Sein Blick blieb dennoch auf dem Boden haften, und was er dort sah, erschreckte ihn. Das Blut tropfte von seiner Hand, der Boden und auch die Bettwäsche

Weitere Kostenlose Bücher