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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Neugier vorzuwerfen und sie darauf hinzuweisen, dass ihr Samowar sie nichts anging und der Zustand des Pesels auch nicht. Aber sie konnte sich nicht einmal dazu entschließen, als Hanna mit einem Grinsen antwortete: »Marinus Rodenberg ist wohl deinetwegen nach Sylt gekommen?«
    Auch das ging Hanna nichts an, trotzdem sagte Geesche: »Er ist wegen der Inselbahn hier. Dr. Pollacsek hat ihn gerufen.«
    In diesem Augenblick betrat Dr. Nissen die Küche. Ein großer, stattlicher Mann, der zur Korpulenz neigte, aber keinesfalls dick genannt werden konnte. Sein Bauch schien nichts als der Beweis dafür zu sein, dass er erfolgreich war und das Leben zu nehmen und zu genießen verstand. Seine dunklen Haare glänzten feucht, mit ihm drang der Geruch teurer Seife in die Küche.
    »Guten Morgen, Frau Jensen!« Hanna ignorierte er, und Geesche schämte sich dafür, dass es ihr Genugtuung bereitete.
    Er griff nach ihrer Hand und drückte einen Kuss darauf. »Ein herrlicher Tag, wenn er mit Ihrer Gesellschaft beginnt, Teuerste!«
    Geesche gab Hanna einen Wink. »Räum Dr. Nissens Zimmer auf! Und denk auch an frisches Wasser!«
    Hanna humpelte aus dem Zimmer. Als sie die Tür hinter sich schloss, war es Geesche, als hätte sie die Luft angehalten, bis sie endlich Hannas Schritte auf dem Flur hörte und die Tür zu Dr. Nissens Zimmer ging.
    »Sie gehen sehr nachsichtig mit ihr um«, stellte Dr. Nissen fest. Er trug eine schwarze Anzughose, ein offenes weißes Hemd, darüber schmale Hosenträger. Auf sein Jackett hatte er verzichtet. Das war noch nie vorgekommen, bisher hatte erstets auf korrekte Kleidung Wert gelegt, auch in der Einfachheit von Geesches Küche. Aber jetzt nahm er dort Platz wie ein Ehemann, der nach dem Frühstück das Jackett überwerfen und das Haus verlassen würde. Wollte er diesen Eindruck erwecken? Wollte er mit dieser Vertraulichkeit Schritt für Schritt die Form ihrer Beziehung verändern?
    »Eine wunderbare Frau, die so ein Mädchen für sich arbeiten lässt. Dabei ist die Kleine Ihnen nicht einmal dankbar!«
    »Ich habe ihr auf die Welt geholfen«, gab Geesche zurück, »und ich kenne ihre Mutter sehr gut.«
    Warum war Hanna im Pesel gewesen? Was hatte sie dort gesucht? Geesche schüttelte heimlich den Kopf. Nein, Hanna suchte nicht. Aber sie drängte sich nur zu gern in das Leben anderer. Und dabei fand sie so manches, von dem sie nicht ahnen konnte, dass es zu suchen gewesen war.
    Erschrocken legte sie das Brotmesser zur Seite, murmelte eine Entschuldigung und verließ die Küche. Zwei schnelle Schritte über den Flur, und schon öffnete sie die Tür zu Dr. Nissens Zimmer.
    Hanna zog gerade das Laken über dem Strohsack glatt und richtete sich erstaunt auf. Doch die Verwunderung wich augenblicklich aus ihren Augen, im Nu wurde ihr Blick scharf und gleichzeitig überlegen. »Denkst du, ich schnüffle in Dr. Nissens Sachen?«, fragte sie.
    Ohne ein Wort zog Geesche die Tür wieder ins Schloss. Das Gefühl der Unterlegenheit brannte auf ihren Wangen wie eine Ohrfeige. Hanna konnte man nichts vormachen. Sie durchschaute Geesche immer.
    Noch vor ein paar Monaten hatte Freda zu Geesche gesagt: »Hanna ist schlau, viel zu schlau für ein Mädchen. Nie hat es in unserer Familie eine Frau gegeben, die so gescheit war.« Aber dann hatte sie geseufzt. »Ich wollte, sie wäre dumm, hätte dafür einen gesunden Körper, wäre hübsch und freundlich und könnte bald heiraten.«
    »Frau Jensen? Ist was nicht in Ordnung?«
    Geesche fiel zum ersten Mal auf, wie angenehm Dr. Nissens Stimme war, dunkel und kräftig, ohne jede Schärfe. Er wandte der geöffneten Küchentür den Rücken zu. Leicht vorgebeugt saß er da, die Ellbogen aufgestützt. Kein Mann, der wie im »Strandhotel« oder in der »Dünenhalle« ein bestelltes Frühstück zu sich nahm, sondern ein Mann, der sich zu Hause fühlte. In Geesche schoss die Flamme einer Sehnsucht hoch, die sie sich bisher nie eingestanden hatte. Sie wollte in ihrem Hause allein sein! Nicht auf die Einnahmen von Feriengästen und vor allem nicht auf Fredas und erst recht nicht auf Hannas Hilfe angewiesen sein. Allein sein mit Marinus und von dem Namen Zederlitz nichts wissen!
    Geesche merkte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen, sah, dass Dr. Nissen sich zu ihr umdrehte, um sie zu fragen, wo sie blieb … da kamen Schritte aufs Haus zu, und Geesche riss erleichtert die Tür auf.
    Vor ihr stand der junge Michelsen, der als Hausdiener für Dr. Pollacsek arbeitete. »Mein Herr

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