Hebamme von Sylt
Schläfen massierten, trat augenblicklich Stille ein. Der Graf beobachtete seine Frau besorgt, die Haushälterin voller Angst. Sie sah so aus, als befürchtete sie, dass die Gräfin ihre Warmherzigkeit über den Kopfschmerzen wieder vergessen könnte, und hielt den Atem an.
In diese Stille hinein drang das Knarren der schweren Eingangstür und kurz darauf das harte Geräusch von Schritten auf dem gefliesten Boden. Tohk-tik, tohk-tik.
Gräfin Katerina nahm die Hände von den Schläfen. »Das scheint die Gesellschafterin unserer Tochter zu sein«, sagte sie zu ihrem Mann. Der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören, aber Graf Arndt reagierte nicht darauf.
»Hanna soll hereinkommen«, sagte er zu der Haushälterin.
Katerina sah den Grafen fragend an, sagte aber nichts. Und als sich das Tohk-tik der Tür des Esszimmers näherte, blickte sie auf ihren Teller und sah nicht auf, als Hanna eintrat. Sie erwiderte auch ihren Gruß nicht. Erst als der Graf Hanna ansprach, hob sie ihren Blick.
»Unsere Tochter ist noch in ihrem Zimmer. Du solltest ihr das Frühstück ans Bett bringen und dafür sorgen, dass sie sich kräftig genug fühlt, wenn du sie auf ihrem Spaziergang begleitest.«
Katerina beobachtete, wie Hanna zu knicksen versuchte, aber kläglich scheiterte, obwohl sie sich dabei am Türrahmen abstützte.
Graf Arndt lachte gutmütig. »Ich habe dir doch gestern schon gesagt, aufs Knicksen darfst du verzichten.«
Hanna stand da wie mit roter Farbe übergossen, trotzdem erschien Gräfin Katerina ihre Verlegenheit nicht überzeugend. Hannas Blick passte nicht dazu, dieses flinke Suchen, das hurtige Verstehen, das schnelle Urteil. Der Widerwille, der die Gräfin erfasste, war wie eine Erinnerung an den vergangenen Sommer. Schon im letzten und auch im vorletzten Jahr hatte sie Hanna nicht gemocht, und sie merkte, dass sich daran nichts geändert hatte. Alles, was an dieser jungen Frau unangenehm war, schien sich im Laufe der Zeit sogar zu verstärken. Ihre Verkrüppelung wog schwerer, je älter sie wurde, ihr Gesicht wurde hässlicher, je mehr Lebenserfahrung es prägte, die Anmaßung hob sich stärker hervor, seit sie versuchte, sie zu verbergen.
»Also lass dir ein Tablett für Elisa richten.«
»Sehr wohl«, gab Hanna zurück und humpelte in die Küche.
Gräfin Katerina warf ihrem Mann einen finsteren Blick zu. »Ich verstehe nicht, dass ausgerechnet dieses Mädchen unserer Tochter Gesellschaft leisten soll.«
»Elisa mag sie.«
»Elisa mag alles, was bemitleidenswert ist.«
»Die Fähigkeit zum Mitleiden ist nicht die schlechteste Eigenschaft.«
Gräfin Katerina griff sich erneut an die Schläfen. »Sie kann Elisas abgetragene Kleidung haben. Meinetwegen kann sie sich auch abholen, was in der Küche übrig geblieben ist. Aber …«
»Es bleibt, wie es ist«, schnitt Graf Arndt ihr das Wort ab.
Katerina war Unhöflichkeiten von ihrem Mann nicht gewöhnt. Aber noch ehe sie entschieden hatte, wie sie darauf reagieren wollte, drang lautes Geklirr und Gepolter aus der Diele ins Esszimmer.
Kurz darauf ertönte die Stimme der Haushälterin. »Warum sagst du nicht, dass du die Treppe nicht schaffst, ohne dich festzuhalten?«
Graf Arndt stand auf und ging zur Tür. »Das war meine Schuld«, rief er in die Diele. »Ich hätte wissen müssen, dass sie kein Tablett die Treppe hochtragen kann!«
Katerina sah ihm wütend entgegen, als er zum Tisch zurückkam. »Dieser Krüppel ist untragbar! Warum, um Himmels willen, gehst du so nachsichtig mit diesem Mädchen um?«
Der Zorn drängte aus ihr heraus, aber als sie den warnenden Blick ihres Mannes auffing, hielt sie sich zurück. Sie kannte diese Warnung. Wenn es um Arndts Mutter ging, erschien sie auch oft in seinem Blick. Und dann war er unerbittlich in seinen Forderungen und Wünschen. Katerina merkte, dass es ihm schwerfiel, ruhig und freundlich zu antworten.
»Hanna ist in derselben Nacht geboren wie unsere Tochter. Unter demselben Dach! Hast du das vergessen?«
»Warum gibt ihr diese Tatsache das Recht, unser Geschirr zu zertrümmern?«
»Wir haben vor sechzehn Jahren ein gesundes Kind bekommen, Katerina. Die arme Fischersfrau hatte dieses Glück nicht. Wir haben allen Grund, dankbar zu sein.«
Gräfin Katerina antwortete nicht. Ja, sie war dankbar! Wenigstens ein gesundes Kind! Kein Sohn, aber immerhin! Eineschöne Tochter, die eine gute Partie machen würde, war Grund genug für ihre Schwiegermutter gewesen, ihr endlich ein wenig Anerkennung und
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