Hebamme von Sylt
begeben und einzusteigen.
Der Mann erwiderte nichts darauf, leistete der Anweisung jedoch Folge. Dabei führte sein Weg direkt an dem Grafen und Dr. Nissen vorbei, die ihn beide nicht beachteten, sondern gespannt auf die Tür des Waggons blickten, in dem noch immer die Königin saß.
Als der Mann auf den Wagen geklettert war, konnte Marinus ihn genauer betrachten, seine Augen, die so schwarz waren wie die Haare, die blasse Haut, den Schatten auf der unteren Gesichtshälfte, der zeigte, dass er sich an diesem Tag noch nicht rasiert hatte, seine langen knöchernen Finger, die zum Hals fuhren, als der Kutscher die Pferde antrieb.
Er blickte sich nicht um, als der Wagen anfuhr, so konnte Marinus sehen, dass er die Augen schloss, während alle anderen, die mit ihm auf dem Wagen saßen, mit großen Augen betrachteten, was sie zu sehen bekamen.
Marinus blickte dem Wagen nach, bis er entschwunden, das Geklapper der Hufe nicht mehr zu hören war und das ungute Gefühl beim Anblick dieses Mannes sich verflüchtigt hatte.
Als er sich zurückwandte, hatte die Königin ihren Waggon verlassen und begrüßte einige Personen, die der Inselvogt ihr vorstellte. Damit war der Beweis erbracht, dass es sich bis zu Heye Buuß herumgesprochen hatte, wer der Insel die Ehre gab. Anscheinend war er inzwischen auch auf Graf Arndt aufmerksam geworden, denn ihn machte der Vogt soeben mit der Königin bekannt, ebenso wie Dr. Nissen, der nicht von ArndtsSeite gewichen war und nun genauso huldvoll begrüßt wurde wie er.
Dann wandte die Königin sich wieder Graf Arndt zu und sprach lächelnd mit ihm. Es kam Marinus so vor, als machte sie ihm ein Angebot, denn sein Bruder nickte immer wieder und verbeugte sich schließlich sogar. Dr. Nissen tat es ihm gleich und beugte seinen Rücken noch tiefer als Graf Arndt. Anscheinend war ihm, weil er das Glück hatte, direkt neben Graf Arndt zu stehen, die gleiche Ehre zuteil geworden wie jenem.
Marinus betrachtete seinen Bruder aufmerksam. Was mochte Arndt mit dem düster aussehenden Mann zu tun haben, der Königin Elisabeth nach Sylt begleitet hatte? Ob es sich um ein Mitglied des rumänischen Adels handelte, der die Familie von Zederlitz kannte? Oder jemand aus dem Fürstenhaus Wied-Neuwied, dem Königin Elisabeth entstammte? Vielleicht auch aus der Familie ihres Gemahls, der als Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmaringen König Carol I. von Rumänien geworden war? Möglicherweise gab es dort eine Verbindung, irgendeine alte Schuld, das nicht eingelöste Eheversprechen eines von Zederlitz, eine unerwiderte Liebe oder der Streit um einen Grundbesitz? Marinus kannte sich nicht gut genug aus in der Familie, der er sich nur durch die außergewöhnliche Güte seines Vaters zugehörig fühlen durfte. Vielleicht sollte er ein Auge auf diesen finsteren Mann haben …?
V.
Ihr Gesicht strahlte vor Freude, ihre Augen leuchteten, ihr Mund lachte. Sie ging hoch aufgerichtet, den Kopf gelegentlich in den Nacken gelegt, lachte den Möwen hinterher, lachte den Himmel an. Elisa von Zederlitz war ein lachender Mensch. Sie konnte auch in einen verregneten Tag hineinlachen, sie lachte sogar über Kopfschmerzen und das Lavendelwasser, das ihreMutter ihr dann reichte, und schaffte es, ihrer Großmutter, der alten Gräfin, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, die jedermann nur mürrisch und griesgrämig kannte. Es gab Menschen, die nannten Elisa naiv oder sogar dumm, weil doch nur jemand so fröhlich sein konnte, der nicht begriff, was das Leben von ihm forderte. Aber die meisten waren von ihrem Liebreiz entzückt und wurden von ihrer Fröhlichkeit angesteckt.
Sie trug an ihrem ersten Tag auf Sylt einen dunkelgrauen Rock, der sich über ihren Hüften bauschte und so lang war, dass er nur die Schuhspitzen freiließ. Er wurde mit einem Mieder gehalten, das Elisas Taille so schlank wie möglich erscheinen lassen sollte. Zum Leidwesen ihrer Mutter entsprach Elisa an dieser Stelle ihres Körpers nicht dem gängigen Schönheitsideal. Ihre Taille war nicht annähernd so schmal wie die ihrer Mutter, und ihre Brüste waren so prall, dass Gräfin Katerina sich große Sorgen um das Erscheinungsbild ihrer Tochter machte, wenn diese erst einmal Mutter geworden war. Um die Üppigkeit ein wenig zu kaschieren, verordnete sie Elisa Blusen mit senkrechten Biesen, vielen Knöpfen und weiten Ärmeln, die den Blick von ihrer Oberweite ablenken sollten, die trotz des Korsetts, das Elisa zu tragen hatte, überbordend war.
Da Hanna das
Weitere Kostenlose Bücher