Hebamme von Sylt
hatten.
»Andrees, was soll ich tun?«
Sie stellte den Eimer mit dem Schafdung ab und zupfte ein paar Unkrautstengel vom Grab.
»Ich bin schrecklich verliebt in ihn! Aber darf ich das sein? Darf ich mich lebenslang mit dem Namen von Zederlitz verbinden? Kann ich damit glücklich werden?«
Sie hielt inne, richtete sich aber nicht auf und sah das Kreuz an, als wollte sie nicht mehr auf Andrees hinabblicken, sondern ihm in die Augen sehen.
»Und was tue ich dir damit an? Ausgerechnet jemand, der für die Inselbahn arbeitet! Du hast sie so gehasst! Du hast durch sie dein Leben verloren. Darf ich einen Mann lieben, der mit der Inselbahn sein Geld verdient?«
Sie erhob sich und sah Andrees’ Namen so lange an, bis sie es aufgab, auf ein Zeichen zu warten. Andrees schwieg. Die Erinnerung an ihn half ihr nicht weiter. Als sie den Eimer wieder aufnahm, gab es noch immer keine Antwort auf ihre Fragen.
»Er ist meinetwegen nach Sylt zurückgekommen«, versuchte sie es noch einmal. »Und er will für eine Weile hierbleiben. Natürlich spürt er, dass ich ihn genauso liebe wie er mich. Was soll ich ihm sagen, warum ich ihn nicht heiraten kann? Wie lange wird er mir noch glauben? Irgendwann wird er erkennen, dass es einen ganz anderen Grund gibt, ihn zurückzuweisen. Und was dann?«
Aber auch diesmal gab es keine Antwort, kein Zeichen, keinen Hinweis, keine Eingebung.
Als Geesche sich umdrehte und plötzlich vor Marinus stand, wusste sie einen entsetzlichen Augenblick lang nicht, ob sie laut gesprochen hatte oder ihr die Fragen nur durch den Kopf gegangen waren und die Lippen nicht erreicht hatten. Erschrocken hielt sie die Luft an, starrte Marinus an, wartete auf seine Reaktion … und ließ sich dankbar an seine Brust sinken, als er lächelnd auf sie zutrat und sie ohne ein Wort in seine Arme zog. Nein, er kannte ihre Gedanken nicht, er ahnte nichts von ihrer Schuld!
»Ich habe gesehen, wie du durchs Friedhofstor gegangen bist«, flüsterte Marinus in ihr Haar. »Da dachte ich mir, dass du zu deinem Verlobten gehst.« Er schob Geesche behutsam von sich weg und betrachtete ihr Gesicht. »Hast du mit ihm über uns gesprochen?«, fragte er und bewies damit, wie gut er Geesche kannte, wie seelenverwandt sie waren. Dass er Verständnis für ihre Gespräche mit einem Toten hatte, dass er bereit war, sich den Antworten zu stellen, die Geesche vor Andrees’ Grab finden würde, rührte sie zu Tränen.
Sie drückte ihr Gesicht an seine Brust, damit er sie nicht sehen musste. »Ja«, flüstert sie. Mehr nicht.
Marinus wartete eine Weile, dann sagte er leise: »Wenn er so war, wie du ihn mir geschildert hast, dann wird er einverstanden sein. Dann will er, dass du glücklich wirst. Und dann wird er wissen, dass ich alles tun werde, um dich glücklich zu machen.«
Sie blieb so stehen, wie sie stand, ohne sich zu rühren, spürte die Wärme, die sich von seinem Körper auf ihren übertrug und die sie nun verband und zu ihrer gemeinsamen Wärme wurde.
»Lass uns nach Hause gehen«, sagte Marinus.
Geesche blickte auf. Nach Hause? Wo war das?
»Oder ist Dr. Nissen da? Oder Hanna? Oder Freda?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin in meinem Haus selten allein.«
Marinus lachte. »Lass uns trotzdem gehen. Hier auf dem Friedhof kann ich dich nicht so küssen, wie ich möchte. In deinem Haus könnte es klappen. Wenn Dr. Nissen dir nicht wieder Marzipan bringt und wenn Hanna dir nicht nachschnüffelt …«
Er nahm den Eimer, und gemeinsam verließen sie den Friedhof. Wie zwei Menschen, die zueinandergehörten, wie zwei, die viel verband. Geesche genoss dieses Gefühl der Verbundenheit wie nichts je zuvor, und dass dieses Gefühl sie zu einer Entscheidung führen könnte, versuchte sie zu vergessen.
»Hoffentlich schnüffelt Hanna nicht auch im Haus deines Bruders herum«, sagte Geesche. »Dann ist sie die längste Zeit Gesellschafterin gewesen.«
Marinus nickte. »Ich verstehe nicht, dass Arndt seiner Tochter ausgerechnet dieses Mädchen zur Seite stellt. Katerina versteht es auch nicht.«
»Da scheint es etwas zu geben zwischen der Comtesse und Hanna. Vielleicht so etwas wie … Freundschaft?«
Aber Marinus wehrte ab. »Elisa ist zu allen Menschen freundlich. Und sie ist erstaunlich vorurteilsfrei, wie es in ihren Kreisen selten ist. Für sie spielt es keine Rolle, ob jemand gesund oder krank, reich oder arm, von Adel oder von niedrigstem Stand ist. Sie mag alle. Und ganz besonders die, die Mitleid verdienen.«
Geesche betrachtete
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