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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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ungehobelter Mann zu sein.«
    Dr. Pollacsek, der der gleichen Ansicht war, scheute sich dennoch, der Königin unumwunden zuzustimmen. Machte es nicht einen besseren Eindruck, einen Mann in Schutz zu nehmen,der nicht anwesend war und sich nicht selbst verteidigen konnte?
    »Er ist ein Sylter Bauer«, sagte er vorsichtig. »Ohne Schulbildung, ohne jegliches Interesse an Kultur.«
    »Das merkt man.«
    »Aber ist er ein guter Inselvogt. Die Sylter haben ihn gewählt, weil sie an seine Fähigkeiten glauben.«
    Königin Elisabeth nickte. »Trotzdem möchte ich ihn nicht zu dem Dinner einladen. Wenn auch nicht alle Gäste von Adel sein werden, so möchte ich doch sichergehen, dass alle auf dem gleichen Bildungsstand sind und sich eine Unterhaltung ergibt, der alle folgen können.«
    Dr. Pollacsek bestätigte die Erwägungen der Königin und bekräftigte ihre Entscheidung, indem er zu bedenken gab, dass man Heye Buuß eine Gefälligkeit erwies, wenn man ihm die Peinlichkeit ersparte, einen Abend in einer Gesellschaft zu verbringen, der er intellektuell nicht gewachsen war.
    Die Königin wirkte sehr zufrieden und dankte dem Kurdirektor ausdrücklich für seinen Ratschluss. »Sie haben recht. Man tut einem einfachen Menschen keinen Gefallen, wenn man ihn auf eine Stufe hebt, auf der er sich unwohl fühlt.«
    Der Kurdirektor bestärkte sie ein weiteres Mal, dann war offensichtlich, dass die Königin den Besuch für beendet hielt. Die vielen Abschiedsworte und der tausendfache Dank, den er hervorstieß, waren ihr augenscheinlich lästig. Sie nickte ungeduldig, wehrte mit der linken Hand ab und beugte sich über das Papier, das vor ihr lag.
    Pollacsek bewegte sich rückwärts zur Tür, deutete bei jedem Schritt eine Verbeugung an, obwohl die Königin ihm den Rücken zukehrte, und überhörte, dass es währenddessen an der Tür klopfte. Erst als die Königin »Herein!« rief, wurde ihm klar, dass die Tür sich jeden Augenblick öffnen musste und er Gefahr lief, dass ihm der Türflügel in den Rücken gestoßen wurde. Er fuhr herum, keine Sekunde zu früh – und stand einem Mann gegenüber,an dem alles schwarz war. Sein Anzug, der Schal, den er darüber trug, seine Haare, der Bart, seine Augen, sein Blick. Pollacsek starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, während sein Gegenüber ihn mit Gleichmut betrachtete.
    »Das ist Ioan Bitu«, hörte er die Königin in seinem Rücken sagen, »ein rumänischer Lyriker. Ioan, das ist Dr. Pollacsek, der Kurdirektor von Westerland.«
    Ioan Bitu nickte flüchtig und ging an Pollacsek vorbei ins Zimmer, ohne ihm die Hand zu reichen. Pollacsek starrte ihm nach, wie er zum Schreibtisch der Königin ging und ihr einige Blätter vorlegte, die sie interessiert zur Hand nahm.
    Beiden schien plötzlich aufzufallen, dass die Tür nicht ins Schloss gefallen war. Ioan Bitu blickte auf, Königin Elisabeth wandte sich zu Pollacsek um. »Frau Roth wird Sie zur Tür bringen«, sagte sie und drehte sich wieder zurück. Bevor Pollacsek die Tür hinter sich schloss, hörte er sie noch sagen: »Sie sollten nicht immer diese schwarze Kleidung tragen, Ioan. Die Sylter Bevölkerung ist so etwas nicht gewöhnt. Sie erschrecken die Leute.«
    Kurz darauf erschien Marie Roth vor Dr. Pollacsek, deren leichte Schritte er auf dem weichen Teppich nicht gehört hatte. »Geht es Ihnen nicht gut, Dr. Pollacsek?«, fragte sie und musterte ihn besorgt.
    Pollacsek riss sich zusammen und schüttelte den Kopf. »Magenbeschwerden! Nichts Besonderes!« Schnell fügte er hinzu: »Und die Unterhaltung mit der Königin hat mich sehr bewegt.«
    Frau Roth lächelte. »Ja, Ihre Majestät ist ein wunderbarer Mensch. Mein Mann und ich, wir sind sehr glücklich, dass sie sich für unser Haus entschieden hat.«
    Ein paar Minuten später stand Dr. Pollacsek vor dem Blumenrondell des Vorgartens und nahm sich vor, seine Haushälterin zu bitten, ihm auf der Stelle Kamillentee zu kochen. Es wurde Zeit, dass er wieder seine Rollkur machte. Wenn es ihmin Gegenwart der Königin auch etwas besser gegangen war, nun hatte der Druck auf seinem Magen wieder zugenommen.
     
    Geesche stand an Andrees’ Grab und starrte das Holzkreuz an, das seinen Namen trug. Regelmäßig kam sie hierher, um das Grab zu pflegen, aber schon lange war sie nicht mehr gekommen, um mit Andrees zu reden, wie sie es in den Wochen nach seinem Tod häufig getan hatte und auch in den ersten Jahren danach, als Trauer und Verzweiflung sie oft zum Friedhof geführt

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