Hebamme von Sylt
Königin so interessiert an, als erzählte sie ihm etwas, was ihm bis dahin nie zu Ohren gekommen war.
»Das Klima auf Sylt bewirkt anscheinend reinste Wunder. Hier wurde er wieder gesund und kann sich seiner Lieblingsbeschäftigung widmen. Seine Holzschnitzereien sind beeindruckend. Das Gartenhäuschen, in dem ich speise, hat er ganz allein möbliert.«
Pollacsek nickte wieder. Auch das war ihm bekannt.
»Frau Roth hat mir erzählt, dass sie sich im Winter oft sehr allein fühlt, in dieser Villa auf der Düne, bei Eis und Schnee. Manchmal gibt es tagelang keine Post, und trotzdem sieht die Frau frisch und heiter aus.«
Wieder starrte Pollacsek sie an. Warum Frau Roth nicht frisch und heiter aussehen sollte, wenn ihr das geschah, woran alle Sylter gewöhnt waren, wollte sich ihm nicht auf Anhieb erschließen.
»Und ihr Mann auch«, fügte Königin Elisabeth an. »Trotz seiner Krankheit! Und obwohl es auf Sylt keinen Arzt gibt!« Nun verschwand zum ersten Mal das Lächeln aus ihrem Gesicht. »Ich hoffe, das wird kein Problem. Der König und ich, wir leiden unter häufigen Fieberanfällen. Er weilt seit längerem wegen einer Wasserkur in Gräfenberg, ich habe mich für das Nordseeklima entschieden. Mein Gemahl wird in Kürze ebenfalls nach Sylt kommen, um sich davon zu überzeugen, dass ich wohlauf bin. Und er will sich vergewissern, das Sylt der richtige Ort für Menschen ist, die ihre Gesundheit wiederherstellen wollen.« Ihre Miene glättete sich, das Lächeln kehrte zurück. »Zum Glück habe ich am Tag meiner Ankunft einen Arzt kennengelernt, der sich zurzeit auf Sylt erholt. An ihn darf ich mich wenden, wenn es gesundheitliche Probleme geben sollte.«
Dr. Pollacsek freute sich, dass er auch hierzu etwas sagen konnte. »Dr. Nissen ist ein guter Arzt«, beteuerte er, »und sehr gefällig. Mir hat er auch geholfen.« Er griff sich an den Magen und stellte fest, dass der Druck kaum zu spüren war. »Seit er mich behandelt, geht es mir besser.«
Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber Pollacsek fand, dass er es der Königin schuldig war, Optimismus zu zeigen.
»Das freut mich zu hören«, gab sie prompt zurück. »Eine meiner Hofdamen ist schwanger. Vielleicht muss auch sie seine Dienst beanspruchen.«
»Auch die Hofdame kann ich beruhigen«, antwortete Pollacsek. »Wir haben eine Hebamme am Ort. Schon Geesche Jensens Mutter war als Hebamme tätig. Von ihr hat sie alles gelernt, was sie können und wissen muss.« Und zur Bekräftigung fügte er an: »Sogar die Tochter von Graf von Zederlitz ist unter ihrer Obhut zur Welt gekommen. Das einzige Kind des Paares, das auf Sylt geboren wurde, und das einzige Kind, das überlebt hat und gesund ist.«
Nun sah die Königin nachdenklich aus. »Ich habe von ihr gehört. Ihr Vater hat mich am Tag meiner Ankunft begrüßt. Sie kennen die Comtesse?«
Pollacsek bejahte eifrig, pries die Familie von Zederlitz und damit auch die Insel Sylt, wohin die Familie Sommer für Sommer zurückkehrte, die Schönheit und den Liebreiz der jungen Comtesse und ihre strahlende Gesundheit, die sie sicherlich dem guten Nordseeklima zu verdanken habe, in dem sie zur Welt gekommen war. »Zwar war es eine stürmische Nacht«, ergänzte er, »in der mehrere Sylter Fischer ihr Leben gelassen haben, aber Elisa von Zederlitz kam gesund zur Welt.«
Die Nachdenklichkeit wich aus dem Gesicht der Königin und machte freudiger Entschlossenheit Platz. »Ich denke, ich werde demnächst ein Dinner geben. Natürlich nur, sofern sich Frau Roth in der Lage sieht, so etwas für mich auszurichten. Der Sohn meines Cousins hat mich nach Sylt begleitet. Ich hätte also eine passende Tischdame für ihn.« Sie griff nach ihrem Federhalter und zeigte damit, dass der Antrittsbesuch des Kurdirektors beendet war. »Ich werde Ihnen auch eine Einladung zukommen lassen«, erklärte sie lächelnd.
Pollacsek sprang auf, verbeugte sich so tief, wie es sein Magen zuließ, und stotterte etwas von großer Ehre und außerordentlichem Vergnügen. Bei der Königin von Rumänien zum Dinner eingeladen! Er konnte sein Glück kaum fassen.
Königin Elisabeth beachtete seine Ehrerbietung nicht. »Bitte, geben Sie mir einen Rat«, bat sie, und Dr. Pollacsek blieb der Mund offen stehen. Von einer Königin um Rat gebeten zu werden, war beinahe mehr, als er verkraften konnte.
»Natürlich müsste ich eigentlich auch dem Inselvogt eine Einladung zukommen lassen«, fuhr Königin Elisabeth fort. »Aber er scheint mir ein …
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