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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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er an der Innenseite des Alkovens lag und Geesche keine Anstalten machte, sich zu erheben, ließ er sich wieder zurückfallen. »Wir sollten besser aufstehen«, meinte er träge, »damit Hanna nicht sonst was denkt.«
    Geesche war plötzlich wie gelähmt. Sie lauschte auf das Tohk-tik, das aus dem Pesel drang, auf die Stille, die folgte, auf die leisen Geräusche, die mal auf Holz, mal auf Metall entstanden, auf das leise Schaben, das sanfte Klirren. In dieser Minute wurde ihr zum ersten Mal klar, dass ihr nicht damit geholfen sein würde, den Namen »von Zederlitz« nie wieder zu hören und die Familie des Grafen nie wieder sehen zu müssen. Was hatte sie sich vorgemacht? Ihre Schuld würde dennoch stets gegenwärtig sein. Es war unmöglich, vor ihr zu fliehen, sich vor ihr zu verstecken oder sie gar zu vergessen. In der Gestalt von Hanna Boyken würde sie täglich vor der Tür erscheinen und in ihr Haus eindringen. Sie würde es nicht verhindern können, ihr Schicksal war längst besiegelt.
    Marinus berührte ihren Arm. »Steh auf, Geesche!«, tuschelte er. »Noch können wir es so aussehen lassen, als hätten wir in der Wohnstube gesessen und uns unterhalten.«
    Geesche nickte und schwang schwerfällig die Beine aus demAlkoven. Im Nu saß Marinus an ihrer Seite und wollte in seine Schuhe steigen. Aber Geesche hielt ihn zurück, indem sie nach seinem Arm griff und sich an seine Seite schmiegte. So, als wollte sie ihn festhalten, bis Hanna den Raum betrat und erkennen musste, dass sie sich liebten und zusammengehörten.
    Marinus spürte, dass etwas anders geworden war, ohne zu ahnen, was es war. Fragend blickte er sie an, aber Geesche wusste, dass sie ihm nicht antworten konnte. Hanna hatte ihr in diesen Minuten durch ihr Erscheinen zu einer Erkenntnis verholfen, die alles veränderte, hatte diese Erkenntnis aber gleichzeitig durch ihre Anwesenheit zu Boden gedrückt. Geesche stand auf und strich sich energisch die Kleidung glatt.
    Lächelnd wandte sie sich zu Marinus um, der noch immer dasaß und sie fragend anblickte. »Ich hole den Samowar aus dem Pesel«, sagte sie. »Du weißt doch: für besondere Gäste.«
    Ehe Marinus etwas erwidern konnte, war sie schon an der Tür der Wohnstube und trat auf den Flur. Als sie gerade von dort in die Küche gegangen war, öffnete sich die Tür des Pesels, und Hanna erschien auf der Schwelle.
    Geesche versuchte, ihre heimliche Freude über Hannas Erschrecken zu verbergen. »Was machst du im Pesel?«
    »Nachsehen, ob alles in Ordnung ist.« Das war die Antwort, die Geesche jedes Mal auf ihre Frage erhielt.
    Gerade in diesem Augenblick schloss Marinus die Tür des Alkovens, und Geesche sah, dass Hanna das Geräusch erkannte. Der linke Flügel war gut geölt und ließ sich fast unhörbar bewegen, der rechte jedoch besaß rostige Scharniere und knarrte vernehmlich, hell und schrill, wenn er zügig bewegt wurde, dumpf, aber genauso durchdringend, wenn jemand versuchte, ihn vorsichtig und leise zu schließen.
    Geesche sah, dass die heimliche Freude die Seite wechselte. Aber nur kurz, dann entstand auf Hannas Gesicht etwas, was wie Bedauern aussah, ein Gefühl, das Geesche sich nicht erklären konnte. »Wenn du schon da bist, kannst du den Teesudvorbereiten. Ich möchte mit Herrn Rodenberg in der Wohnstube Tee trinken. Aus dem Samowar! Also sorg auch für heiße Asche.«
    Sie rechnete damit, dass Hanna aufbegehren oder zumindest mit einer anzüglichen Frage daran erinnern würde, dass der Samowar besonderen Gelegenheiten und besonderen Gästen vorbehalten war, aber sie fügte sich tatsächlich, ohne zu murren.
    Als Geesche den Pesel betrat, blickte sie sich um und sah, dass Hanna auf die Geräusche lauschte, die aus der Wohnstube drangen. »Nun mach schon!«, sagte sie und betrat den Pesel erst, als Hanna sich an der Feuerstelle zu schaffen machte.
    Im Pesel war es schon düster, aber noch hell genug, um ohne Petroleumlampe auszukommen. Geesche ging in die hintere Ecke des Raums, wo eine Vitrine stand, auf der sich der Samowar besonders prächtig ausnahm. Als sie nach ihm griff, um ihn in die Wohnstube zu tragen, entstand ein Geräusch, das ein Wiedererkennen in ihr weckte. Das Schaben des Samowars auf dem lackierten Holz! Das hatte sie vor wenigen Minuten gehört. Das gleiche Schaben entstand, wenn eine Lade dieser Vitrine geöffnet wurde.
    Geesche probierte es aus, öffnete die obere Lade und lauschte dem Geräusch hinterher. Ja, dieses Schaben hatte sie gehört, als Hanna im Pesel

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