Hebamme von Sylt
gebracht wird, was wir brauchen. Die Anmietung eines Badekarren und einiger Strandkörbe habe ich schon bei Dr. Pollacsek in Auftrag gegeben.«
»Und die Kutsche kann uns wieder bis zum Strandübergang fahren?«, vergewisserte sich Gräfin Katerina.
Graf Arndt nickte. »Die Treppe über die Dünen wirst du schaffen, Liebes.«
Die Gräfin schien daran zu zweifeln, nickte aber tapfer.
»Viel Spaß!«, wünschte Marinus seinem Bruder, ehe er sich in Dr. Pollacseks Büro begab, wo er zu einer Besprechung erwartet wurde.
Arndt begleitete ihn zur Haustür. »Was ist mit der Hebamme?«, fragte er leise. »Bist du weitergekommen?«
Über Marinus’ Gesicht ging ein Lächeln. »Sie lehnt zwar immer noch jeden meiner Heiratsanträge ab, trotzdem bin ich guten Mutes.«
»Heißt das: Sie liebt dich?«
Marinus’ Lächeln vertiefte sich. »Ich bin ganz sicher, dass sie mich liebt.«
»Und trotzdem will sie dich nicht heiraten?«
Nun wurde Marinus ernst. »Sie wird bald einsehen, dass sie den Bankert eines Dienstmädchens heiraten kann, auch wenn der Vater ein Graf war. Und die Sache mit der Inselbahn … ich glaube, das hat sich heute auch erledigt.«
Graf Arndt runzelte die Stirn. »Was hat die Inselbahn mit deiner Liebe zu Geesche Jensen zu tun?«
»Du weißt doch, ihr Verlobter ist vor sechzehn Jahren beim Bau der Inselbahntrasse ums Leben gekommen. Geesche konnte den Gedanken nicht ertragen, mit einem Mann zusammen zu sein, der für die Inselbahn arbeitet.«
»Konnte? Jetzt sieht sie das anders?«
Marinus nickte. »Wir waren heute gemeinsam am Grab ihres Verlobten. Und irgendwas … hat sich dort verändert.« Marinus betrachtete seinen Bruder aufmerksam, der plötzlich mit den Gedanken weit weg zu sein schien. »Wie stehst du zu meinen Plänen? Wäre es dir recht, wenn ich Geesche Jensen heirate?«
Arndt drehte sich weg, als wollte er Marinus sein Gesicht nicht sehen lassen. »Ich habe dir keine Vorschriften zu machen.«
»Ich will keine Vorschrift von dir, sondern deine Meinung.«
Arndt drehte sich zurück und gab sich große Mühe, seinen Bruder gleichmütig anzusehen. »Ich würde mir das an deiner Stelle gut überlegen. Wenn eine Frau so lange zögert, dann ist es mit ihrer Liebe vielleicht doch nicht so weit her. Und warum suchst du dir nicht eine Jüngere? Mit Geesche Jensen kannst du keine Familie mehr gründen.« Er klopfte Marinus auf die Schulter. »Vielleicht sehen wir dich später noch am Strand?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er in den Wohnraum zurück, blieb aber, als die Tür hinter Marinus zuschlug, stehenund sah grüblerisch auf seine Fußspitzen. Die Verbindung seines Bruders mit der Hebamme gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht! Und Geesche Jensen ging es genauso, dessen war er sicher. Dass sie Marinus nicht heiraten wollte, hatte nichts damit zu tun, dass er der Sohn eines Grafen war. Das mochte sein Bruder glauben, aber nicht er, Graf Arndt von Zederlitz.
Seine Frau und seine Tochter machten sich in der ersten Etage für den Ausflug zum Strand bereit, die Dienstboten hatten damit zu tun, alles zu verstauen, was mitgenommen werden sollte. Es war still im Haus. Deswegen war das schwache Tohktik-tohktik zu hören. Sehr leise nur, aber dennoch von anderen Geräuschen gut zu unterscheiden.
Der Graf trat wieder in die Diele zurück und rief halblaut: »Hanna?« Und als er keine Antwort bekam: »Hast du gelauscht?«
In diesem Augenblick ging die Tür zu Elisas Zimmer, die Schritte waren verklungen.
Graf Arndt blickte die Treppe hoch und dachte an das, was die Haushälterin gestern seinem Kutscher zugetuschelt hatte. Rein zufällig hatte er es mitbekommen: »Nehmen Sie sich vor Hanna Boyken in Acht. Die hat ihre Augen und Ohren überall. Und wenn sie etwas weiß, wird sie es gegen Sie verwenden.«
Hannas Herz floss über vor Liebe. Klein und eng war es, dieses Herz, wohl deswegen konnte es die Liebe nicht fassen, die sie so wie jetzt noch nie empfunden hatte. Natürlich liebte sie auch ihre Mutter und Ebbo, aber das war etwas ganz anderes. Diese Liebe war ihr mit dem Leben geschenkt worden, sie war von Anfang an da gewesen, hatte sie begleitet, hatte sich nie verändert, hatte nicht wachsen und nie verteidigt werden müssen. Sie war so wichtig wie das tägliche Brot, aber auch so nebensächlich wie das tägliche Brot ist, solange man keinen Hunger leidet. Die Liebe, die Hanna jetzt empfand, war deshalb so wertvoll, weil es eine Liebe war, die sie zurückgab, die ihr inähnlicher
Weitere Kostenlose Bücher