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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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wieder vor sein Zeichenbrett und nahm sich vor, eine Stunde vor den Plänen sitzen zu bleiben, an denen er zurzeit arbeitete. Die nächste Strecke der Inselbahn, die er zwischen Westerland und Hörnum plante, machte ihm Schwierigkeiten. Es würde noch Jahre dauern, bis er die Eigentumsverhältnisse geklärt, alle Ansprüche der Wiesen- und Weidebesitzer befriedigt hatte und mit dem Bau der nächsten Trasse beginnen konnte.
    Als er sich schließlich zurücklehnte und den Bleistift zur Seite legte, stellte er fest, dass die Zeit wie im Fluge vergangen war. Nun konnte er sogar darüber lächeln, dass er eine gute Weile seinen Magendruck vergessen hatte. Ja, es ging wirklich aufwärts mit ihm!
    Er schob seine Pläne zusammen, die er niemals über Nacht auf seinem Schreibtisch liegen ließ. Zu wertvoll waren sie. Kostbar für jeden, der Nutznießer der Trasse werden konnte, und vor allem für die, die dafür etwas aufgeben mussten. Die Pläne würde Julius Pollacsek erst der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, wenn die größten Schwierigkeiten überwunden waren. Kein Sylter durfte die großen Zusammenhänge kennen, jeder sollte den Forderungen des Kurdirektors nachkommen, selbst dann, wenn sie für ihn nachteilig waren, aus Angst, dass andernfalls alles noch schlimmer kommen konnte. Er wollte den Menschen keine Sicherheit geben. Unsicherheiten spielten Dr. Pollacsek in die Hände.
    Er ging zu dem Ölgemälde, das eine Ansicht seiner Heimatstadt Budapest zeigte, und nahm es vom Haken. Schuldgefühle hatte er nicht, wenn er daran dachte, mit welchen Winkelzügen er die Sylter Bevölkerung zu ihrem Glück zwang. Denn dass es um ihr Glück ging, davon war er überzeugt. Zwar gab es immer noch viele Gegner der Inselbahn, aber Julius Pollacsek war sicher, dass man am Ende dieses Jahrhunderts seinen Namen voller Respekt aussprechen würde, weil er als einer der Ersten erkannt hatte, wie aus dem armen Sylt eine reiche Insel zu machen war.
    Noch gab es allerdings viele, die Zusammenstöße ihres frei auf der Weide laufenden Viehs mit der Lokomotive der Inselbahn befürchteten, während andere, die Angst vor jeder Veränderung hatten, sich gegen die »Neue-Welt-Sitten« wehrten, wie Dr. Pollacseks Pläne von vielen Insulanern genannt wurden. Wieder andere mokierten sich über den Fahrpreis, aber das Problem, das Dr. Pollacsek am meisten zu schaffen machte, hatte zum Glück kein Insulaner bedacht, sonst wäre der Widerstand noch größer gewesen. Zu niemandem hatte Dr. Pollacsek davon gesprochen, dass er befürchtete, der Funkenflug könne Heidebrände verursachen. Bis jetzt war alles gutgegangen, aber der Kurdirektor mochte gar nicht daran denken, wie die Gegner der Inselbahn reagieren würden, wenn die Heide eines Tages in Flammen stand.
    Er griff in die Innentasche seiner Jacke und holte den Schlüssel des Tresors hervor. Er schob das Gemälde beiseite, öffnete den Tresor und stapelte die Lohngelder aufeinander, damit für die Pläne genug Platz war. Wenn er mit der Südbahn beginnen würde, musste er unbedingt einen zweiten Tresor anschaffen, damit auch die Pläne für diesen Streckenabschnitt im Tresor unterzubringen waren. Die Ostbahn zwischen Munkmarsch und Westerland war zwar im Wesentlichen fertiggestellt, trotzdem waren noch viele Arbeiter damit beschäftigt, den Streckenabschnitt mit Strandhafer zu bepflanzen, um Sandverwehungenzu vermeiden. Fahrtunterbrechungen oder gar Entgleisungen würden die Folge sein, wenn der Eigendynamik der Dünenwelt kein Einhalt geboten wurde. Und es würde weiterhin für viele Sylter Arbeit geben, denn die Trasse musste regelmäßig instand gehalten werden.
    Das verräterische Geräusch hörte er gerade in dem Moment, in dem er die Tresortür wieder schließen wollte. Er erstarrte mitten in der Bewegung, als er die Schritte wahrnahm, ließ die Hände erhoben, nahm den Blick nicht von den Lohngeldern und dachte nur ganz kurz daran, dass er ein kleines Vermögen hier aufbewahrte! Bisher hatte er geglaubt, dass kein Sylter an einen Diebstahl auch nur einen Gedanken verschwendete, da jeder sofort auffallen würde, der plötzlich reich geworden war. Aber die Fremden, die neuerdings auf die Insel kamen! Zwar handelte es sich durchweg um gutsituierte oder sogar vermögende Familien – von Stand, von Adel, von Erfolg gekrönt –, aber wer wusste schon etwas von der Gier, die reiche Leute noch reicher machte?
    Hastig warf Dr. Pollacsek die Tresortür zu, verschloss sie eilig und hängte das

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