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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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nun stieß er ein Lachen aus, das Marinus unter die Haut fuhr. Dass sein Bruder unter der Verächtlichkeit der alten Gräfin ebenso gelitten hatte wie Katerina, war ihm bisher nicht klar gewesen. Vielleicht hatte er sogar doppelt so viel gelitten, denn er hatte nicht nur sein eigenes Leid, sondern auch das seiner Frau auf seine Schultern genommen.
    Dass Arndt von Zederlitz die Frau, die er so sehr liebte, derart schamlos betrogen hatte, wollte Marinus noch immer nicht in den Kopf. Aber dennoch konnte es nicht anders sein. Das Erbe seines Vaters! Der hatte seine Frau nicht geliebt, aber wie viel ihm Marinus’ Mutter bedeutet hatte, wusste jeder. Doch hatte er sie deswegen nicht betrogen? Marinus glaubte es nicht. Auf dem gräflichen Gut hatte es mehrere jüngere Kinder gegeben, die als illegitime Nachkommen des Grafen gegolten hatten. Er war froh, dass er selbst von diesem Erbe verschont geblieben war. Vielleicht setzte es sich nur unter den legitimen Nachfahren durch, der Bankert eines Dienstmädchens wurde nicht davon befallen …
    Nun lachte auch Marinus so bitter auf wie kurz zuvor sein Bruder. »Kann es sein, dass du genau neun Monate vorher auf Sylt warst?«, fragte er mit so schneidender Stimme, dass sie selbst durch Arndts benebeltes Hirn fuhr wie eine scharfeKlinge. »Und kann es sein, dass Freda Boyken mal eine hübsche junge Frau war? Jetzt sieht sie erbärmlich aus, leidgeprüft mit ihrer verkrüppelten Tochter, schwer gestraft durch die frühe Witwenschaft und den täglichen Kampf ums Überleben. Aber vor sechzehn Jahre mag sie reizvoll gewesen sein …«
    Arndt von Zederlitz schwankte plötzlich nicht mehr, und auch seine Stimme war klar und fest. »Was willst du damit sagen?«
    Marinus wusste nicht, ob er sich über Arndts vorgetäuschte Unschuld amüsieren oder ärgern sollte. »Dass Freda Boyken dir dein Bett gewärmt hat!«, fuhr er Arndt an. »Das will ich sagen! Wo hast du logiert damals? In einem Haus, in dem es nicht auffiel, wenn man eine verheiratete Sylterin mitbrachte? Ihr Mann war gerade rausgefahren zum Fischfang, richtig? Und sie wollte wenigstens einmal für ein oder zwei Stunden ein schönes Leben haben! Was hast du ihr versprochen? Ein hübsches Tuch? Ein Glas Wein? Oder sogar Geld für gutes Essen, das eine ganze Woche reichen würde? War sie dafür bereit?«
    Arndt stand da, als hätte er eine Ohrfeige bekommen und wäre zu kraftlos, um sie zu erwidern. »Du glaubst …« Er starrte seinen Bruder an, als wäre er sich nicht sicher, dass es wirklich Marinus war, der vor ihm stand. »Du traust mir zu …« Nun war er wieder ganz der Spross der adligen Familie, der die Ehre des Hauses von Zederlitz hochhielt. »Ich würde Katerina niemals betrügen. Ich liebe sie, das weißt du.« Er versuchte ein schiefes Grinsen, das aussah, als müsste er seine Tränen herunterschlucken. »Ich weiß, Katerina dürfte nicht hören, dass ich von meiner Liebe zu ihr rede. Aber du als mein Bruder … du kennst meine Gefühle.«
    »Dein Bruder?« Marinus lachte ihm dieses Wort ins Gesicht, verächtlich und unglücklich zugleich. »Ja, dein Bruder kennt dich so gut wie kein anderer, aber der Bankert eines Dienstmädchens …«
    »Ich habe mich entschuldigt«, unterbrach Arndt und griffnach Marinus’ Arm. »Es tut mir wirklich leid. Ich weiß nicht, was heute Nachmittag in mich gefahren ist.«
    »Es war nicht das erste Mal, dass du dich merkwürdig verhältst. Immer dann, wenn es um Hanna Boyken geht.«
    »Erst Freda Boyken und jetzt noch ihre Tochter? Wer ist hier eigentlich betrunken? Du oder ich?«
    Marinus trat so dicht an seinen Bruder heran, bis der endlich zurückwich. »Willst du behaupten, du hast selbst nie bemerkt, wie ähnlich Hanna deiner Mutter ist? Das gleiche schmale Gesicht, die gleichen kleinen Augen, das spitze Kinn, die hohe Stirn und die Haarfarbe. Sie ist sogar genauso boshaft wie deine Mutter! Das willst du wirklich nie bemerkt haben? Ich kenne deine Mutter!« Marinus’ Stimme wurde leiser, als hätte er Angst, seine Worte wären bis in Katerinas Schlafzimmer zu verstehen. »Und deine Frau kennt sie auch.«
    »Willst du damit sagen, auch Katerina glaubt, dass ich ein Verhältnis mit Freda Boyken hatte?«
    Marinus schüttelte den Kopf. »Aber ihr ist aufgefallen, dass du ein anderer bist, wenn es um Hanna Boyken geht.«
    »Du weißt doch …«
    »Dein Schwur, ja!« Marinus drehte sich einmal um sich selbst, als wollte er sichergehen, dass er sich noch immer am selben Ort befand.

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