Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
trotzdem, dass du nicht richtig bei der Sache bist.«
Hector wollte sich verteidigen, aber im Grunde wusste er, dass Clara recht hatte.
»Und dann erzählst du mir auch nichts mehr!«
»Ist das so?« Aber auch hier wurde Hector bewusst, dass es stimmte. »Es tut mir leid …«
Wenn Hector früher dank seines Biers und seiner Zeitung wieder zu sich gekommen war, hatte er auch die Gabe des Redens zurückgewonnen; er hatte Clara dann seinerseits Anekdoten über seine Patienten erzählt, Geschichten, die manchmal drollig, oft aber sehr berührend waren, und manchmal hatte Clara dann gesagt, sie finde Hectors Patienten weniger verrückt und auf jeden Fall sympathischer als manche ihrer eigenen Chefs oder Kollegen.
Jetzt aber lächelte Clara schon wieder traurig. »Am Anfang habe ich gedacht, dass ich … dass ich dich nicht mehr interessiere. Und dass das vielleicht normal ist … dass wir den anderen Ehepaaren ähneln und uns bald nur noch ertragen …«
Hector sah die Tränen in ihren Augen. Er stand auf, um Clara in die Arme zu schließen, und auch sie stand auf, und dann lagen sie einander in den Armen. Clara hörte auf zu weinen und sprach weiter: »Aber dann habe ich mir gesagt, dass es etwas anderes ist. Du wirkst fast ständig angespannt und reizbar. Wegen jeder Kleinigkeit regst du dich auf – wie heute Abend. So etwas passiert in letzter Zeit oft.«
Bei all seiner großen Liebe für Clara, Hector hatte nun wirklich keine Lust, sich jetzt anzuhören, wann und wo er sich wegen nichts aufgeregt hatte. Er hatte nie darüber nachgedacht, doch es beschlich ihn eine vage, eine sehr vage Ahnung, dass es in den letzten Monaten häufig passiert sein musste. Also sagte er Clara, sie habe recht; in letzter Zeit fühle er sich wirklich nicht gut; er sei erschöpft; vor allem anderen aber habe er Clara lieb, und ohne sie wäre es ganz bestimmt schlimmer; sie sei sein Licht in …
Hector brach den Satz gerade noch ab, bevor er »in diesem Tal der Finsternis« gesagt hätte, aber diese Wendung war ihm wie von allein in den Sinn gekommen – ein weiteres Anzeichen dafür, dass er gerade keine besonders positive Sicht auf sein Leben hatte, auch wenn er es gewöhnlich vermied, darüber nachzudenken.
Er flüsterte Clara noch andere zärtliche und ehrliche Worte ins Ohr, und schließlich gingen sie still und friedlich ins Bett und schliefen auf der Stelle ein, was am Rooibos gelegen haben mag.
Hector beugt sich über seinen eigenen Fall
Plötzlich wachte Hector auf.
Vielleicht hatte er zu wenig Rooibostee getrunken oder zu viel Champagner. Oder hatten ihn Claras Feststellungen gewissermaßen wachgerüttelt?
Er dachte darüber nach, was sie ihm vorhin gesagt hatte.
Und mit einem Mal standen sie ihm wieder vor Augen – all seine kleinen Ausfälle in den letzten Monaten. Am Lenkrad, wenn er sich über unhöfliche Fahrer aufgeregt hatte, im Restaurant, wo ihm der hochnäsige Ober ein Ärgernis gewesen war, einmal auch auf dem Flughafen, wo er sich über flegelhafte Sicherheitskräfte ereifert hatte (Clara hatte schon Angst bekommen, man würde ihnen den Zugang zum Flugzeug verwehren). Bei etlichen anderen Gelegenheiten war er nicht wirklich in Wut geraten, hatte sich aber sehr genervt gefühlt.
Allmählich wurde Hector klar, dass es seit Monaten, wenn nicht gar seit Jahren tief in ihm vor sich hinköchelte. Er hatte es vor den anderen verbergen können – und noch besser vor sich selbst!
Aber Clara war es natürlich nicht entgangen.
Er begann ein wenig so über sich selbst nachzudenken, als wäre er sein eigener Patient. Das halten Sie vielleicht für unmöglich, aber auch Freud höchstpersönlich hat behauptet, sich selbst analysiert zu haben (wodurch er in den Augen seiner schwer beeindruckten Schüler zu einer Art Superheld geworden war).
Wenn Hector also seinen Zustand verschleierte und damit sozusagen sein Ich vor seinem Ich versteckte, bedeutete dies, dass er auf Abwehrmechanismen zurückgriff. »Erstellen Sie mir doch mal eine Liste Ihrer Abwehrmechanismen«, hätte Hector von Hector verlangen können, denn der Patient Hector war schließlich auch Psychiater, also hätte er die Aufforderung durchaus verstanden.
Als er ein wenig nachgedacht hatte, sagte sich Hector, dass er sich seinen Zustand mit einer Mischung aus Verleugnung und bewusster Verdrängung verschleiert hatte. Das waren zwei Abwehrmechanismen, die als nicht gerade gut für die Gesundheit galten.
Um Verleugnung handelt es sich, wenn Sie
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