Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
sich Clara zu und legte ihr den Arm um die Schultern. Der Bus war fast leer, abgesehen von einer anderen älteren philippinischen Dame, die wahrscheinlich bei einem ähnlichen Diner in der Nachbarschaft serviert hatte und nun nach Hause fuhr, und von zwei adretten, aber halb betrunkenen Jugendlichen, die auf den hintersten Sitzen herumalberten.
»Nein, meine Liebste, uns habe ich damit nicht gemeint.«
Clara schmiegte sich an ihn, und Hector spürte ihre Tränen an seiner Wange.
Der Bus hatte gerade den Pont de l’Alma überquert, und nun fuhren sie am Seineufer entlang, und wie eine Perlenkette zogen die angestrahlten Sehenswürdigkeiten an ihnen vorüber – das Grand Palais, der Pont Alexandre III , der Invalidendom … Am gegenüberliegenden Ufer sah man die Place de la Concorde, und Hector fragte sich, weshalb ihm die Schönheit von Paris nicht häufiger dabei half, sein Leben einfach zu genießen.
Später saßen sie in der Küche, wo Clara einen Rooibostee aufbrühte, damit sie nach all dem Wein und Champagner gut schlafen konnten und damit sie ein paar Antioxidantien aufnahmen, die gegen die Folgen des Alkohols fürs Erbmaterial ankämpfen würden. Clara arbeitete für einen Konzern, der moderne Medikamente herstellte, aber zu Hause sammelte sie exotische Kräutertees und zählte Hector die wohltuenden Wirkungen auf, die man sich von ihnen erhoffte, auch wenn keine Studie dies bisher bewiesen hatte.
Hector schaute ihr beim Hantieren mit der Teekanne zu; ihm wurde klar, wie sehr er sie liebte, und er bereute es, sie mit seiner kleinen Predigt über der Käseplatte beunruhigt zu haben. Außerdem hatte er ein schlechtes Gewissen, wenn er daran dachte, was ihm vorhin über ihre Ehe in den Sinn gekommen war, und nahm sich vor, nie wieder daran zu denken.
Clara wirkte noch immer beunruhigt. Sie stellte die Tassen hin und setzte sich ihm gegenüber. »Du bist so anders«, sagte sie.
So anders? Hector wusste, dass er immer noch Hector war, und so entgegnete er Clara, er habe nicht die geringste Ahnung, was sie damit sagen wolle.
»Merkst du es denn nicht selbst?«
Nein, Hector merkte es tatsächlich nicht.
Und vor allem fühlte er sich schrecklich schläfrig, auch ohne den Rooibostee schon, und hatte große Lust, das Gespräch zu beenden, indem er einfach sagte: »Gut möglich – lass uns morgen darüber reden«, aber das Leben hatte ihn gelehrt, dass man manche Gespräche weiterführen muss, wenn sie erst einmal angefangen haben, besonders mit der Frau, die man liebt.
Und so fragte er Clara: »Was genau merke ich nicht?«
Gleich danach bereute er es, diese Frage gestellt zu haben, denn sie ließ sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten, aber später bereute er es nicht mehr, denn Clara hatte ihm wirklich wichtige Dinge zu sagen.
Dinge, die er eigentlich selbst wusste, aber nicht wahrhaben wollte.
Was Clara zu sagen hatte
»Zunächst mal hörst du mir nicht mehr so zu wie früher«, begann Clara.
Hector bemühte sich, die Augen offen zu halten, damit Clara nicht schon wieder annehmen musste, er würde ihr nicht zuhören.
Wenn Hector früher nach Hause gekommen war, hatte ihm Clara ein wenig Zeit zum Ausruhen gegeben; sie wusste, dass er nicht gleich losreden und zuhören konnte, nachdem ihm die Leute den ganzen Tag von ihrem Unglück berichtet hatten. Es war ein bisschen wie mit einem überhitzten Motor, den man erst abkühlen lassen musste.
Meist trank Hector dann im Wohnzimmer ein Bier und las die Zeitung, und hinterher hatte er neuen Schwung und gesellte sich zu Clara. Dann schilderte sie ihm, was sie tagsüber erlebt hatte – oft recht amüsante Dinge, denn das Leben in einem Konzern hatte seine bizarren Seiten, und außerdem schien Clara eine Spezialbrille zu tragen, die sie diese bizarren Seiten besonders scharf sehen ließ. Manchmal hatte sie auch echte Probleme, von denen sie Hector erzählte. Hector hatte gelernt, dann nicht gleich zu sagen: »Aber weshalb machst du nicht das und das?«, hatte er doch begriffen, dass Clara meist schon selbst eine Lösung gefunden hatte. Aber im Gespräch mit Hector konnte auch sie ihren Motor abkühlen lassen – so wie er, wenn er schweigend dasaß und sein Bier trank.
»Doch, mein Schatz, ich höre dir immer noch zu!«
Über Claras Gesicht huschte ein trauriges Lächeln: »Nein, auch wenn du es ziemlich gut vortäuschst und zwischendurch immer mal ›Hm‹ machst wie bei deinen Patienten. Bei denen mag das ja funktionieren, aber ich weiß
Weitere Kostenlose Bücher