Heidegger - Grundwissen Philosophie
Sinn ist es ja, der das jeweilige ontologische Vorverständnis präjudiziert und damit auch die horizontbildenden Grundbegriffe festlegt. Heideggers Destruktion der Metaphysik der Anwesenheit hat also nicht – wie später bei Jacques Derrida (1930–2004) – ihren bevorzugten Ausgangspunkt in der Kritik an einer metaphysischen Theorie des Zeichens. Obwohl Heidegger im Unterschied zu Husserl eindeutig das Semiotische gegenüber dem Logischen privilegiert, ist er, etwa im Gegensatz zu Cassirer, erstaunlich desinteressiert an der »geschlossen[en] Mannigfaltigkeit möglicher Zeichen« (SZ 77). Zwar finden sich im Rahmen der Daseinsanalyse zeichentheoretische Überlegungen, diese haben jedoch allenfalls sprachphilosophische Implikationen, sie haben aber keine sprachphilosophische Basis.
Die sprachphilosophische Pointe seiner Ontologiekritik besteht somit darin, daß Heidegger die Idealisierungen und Abstraktionen der Bewußtseinsphilosophie mit der konkreten, vorwissenschaftlichen Lebenswelt und mit der nichttheoretischen Sprache des Alltags konfrontiert. Indem er auf ein hermeneutisches Vorverständnis rekurriert, gelingt es ihm, gegenüber der Bewußtseinsphilosophie eine neue Dimension aufzureißen. Denn mit dem Rückgriff auf dieses Vorverständnis des alltäglichen In-der-Welt-Seins ist die Bewußtseinsphilosophie prinzipiell überschritten. 32
Den Ausgangspunkt hierfür bildet in
Sein und Zeit
das Dasein. Allein dieses hat Sprache. Die Sprache wurzelt in der existenzialen Verfassung der Erschlossenheit des Daseins, so daß Heidegger sagen kann: »
Das existenzial-ontologische Fundament der Sprache ist die Rede
.« (SZ 160) Die Rede, ursprüngliches »Existenzial« der Erschlossenheit, ist existenzial gleichursprünglich angesetzt mit
Befindlichkeit und Verstehen. 33
Als [77] dieses ursprüngliche Existenzial ist sie durch das alltägliche In-der-Welt-Sein konstituiert. Denn die spezifisch weltliche Seinsart der Rede ist die Artikulation der Verständlichkeit des »Da«. Im »Da« spricht sich die befindliche Verständlichkeit des alltäglichen In-der-Welt-Seins aus. »Rede ist die Artikulation der Verständlichkeit. Sie liegt daher der Auslegung und der Aussage schon zugrunde.« (SZ 160) Und insofern der in der Rede artikulierbare Sinn ein sprachlich artikulierbarer Sinn sein muß, kann Heidegger behaupten, daß »Bedeutungen […] als das Artikulierbare immer sinnhaft« sind.
Die Rede ist für ihn eine spezifische weltliche Seinsart und konstitutiv an das Dasein gebunden. »Die Hinausgesprochenheit der Rede ist die Sprache«, oder wie es an anderer Stelle heißt: »Die Rede ist existenzial Sprache.« (SZ 161) Aber nicht nur, daß sich die befindliche Verständlichkeit des alltäglichen In-der-Welt-Seins als Rede ausspricht. Als existenziale Verfassung der Erschlossenheit des Daseins ist die Rede vielmehr konstitutiv für die Existenz. Im Erschließen der Existenz über die Mitteilung der existenzialen Möglichkeiten der Befindlichkeit artikuliert sich das, was Heidegger das verstehende Miteinandersein nennt. Die Mitteilung vollzieht »die ›Teilung‹ der Mitbefindlichkeit und des Verständnisses des Mitseins […]. Das Mitsein wird in der Rede ›ausdrücklich‹
geteilt
.« (SZ 162) Das heißt: In der Sprache wird nicht nur
über
etwas In-der-Welt-Seiendes gesprochen, sondern immer schon
mit
jemandem in der Welt qua Mitwelt.
Mitsein, Mitteilung und das »Man«
Bereits die Klärung des alltäglichen In-der-Welt-Seins zeigte ja, »daß nicht zunächst ›ist‹ und auch nie gegeben ist ein bloßes Subjekt ohne Welt. Und so ist am Ende ebensowenig zunächst ein isoliertes Ich gegeben ohne die Anderen.« Die anderen, die Heidegger »zunächst« und »zumeist« aus dem »zuhandenen, [78] umweltlichen Zusammenhang begegnen« läßt, sind eben je schon »
mit da
« (SZ 116). Diese Begegnung ist sehr verschieden von innerweltlich begegnendem Zeug oder Dingen, also von Zuhandenem und Vorhandenem. Denn die anderen sind »
wie
das freigebende Dasein selbst«, sie sind »
auch und mit da
«. Das »mit« ist daseinsmäßig, das mithafte alltägliche In-der-Welt-Sein ist die fürsorgend geteilte Welt mit anderen. Denn die »Welt des Daseins ist
Mitwelt
. Das In-sein ist
Mitsein
mit Anderen. Das innerweltliche Ansichsein dieser ist
Mitdasein
.« (SZ 118) Weil das Dasein wesentlich an sich selbst Mitsein ist, liegt im Sein mit anderen immer schon ein »Seinsverhältnis von Dasein zu Dasein« (SZ 124).
Heidegger trifft
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