Heidegger - Grundwissen Philosophie
nachvollziehbar, daß das »ist« all unser Verstehen ermöglicht und demzufolge auch eine Bedingung der Möglichkeit des Verstehens prädikativer Sätze wäre. Unglücklicherweise hat Heidegger einen solchen Nachweis jedoch nicht geführt. Dennoch steht für ihn fest: Die Synthesis im Sinne der ontologisch interpretierten Kopula ist das »Fundament für Falsch- und [70] Wahrheit – d. i. hier solche Wahrheit, an deren Stelle auch Falschheit sein kann, d. h. Aussagenwahrheit« (GA 21, 136).
Aber selbst angenommen, wenn auch nicht zugegeben, daß die Kopula im Sinne der Synthesistheorie interpretiert werden müßte, selbst dann bliebe noch die Frage offen, wie sich denn nun der Bedeutungssinn aus dem Handlungssinn ableiten läßt. Wir haben hier das gleiche Problem vor uns wie in bezug auf die Zeichenproblematik. Heidegger müßte die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke im Rahmen einer allgemeinen Handlungstheorie erklären, die aus zwecktätigen Interventionen den Mitteilungssinn abzuleiten in der Lage ist. Und solch eine Erklärung hat er wohl auch für möglich gehalten. Er hat sie allerdings nicht geliefert, so daß unklar bleibt, wie die verschiedenen Sinnebenen auseinander ableitbar sind.
Heidegger wendet sich gegen die kognitivistische Verkürzung der abendländischen Logosauszeichnung, die die Vernunft auf das reduziert, was die Sprache in einer ihrer Funktionen leistet – nämlich in der Darstellungsfunktion. Mit dem Argument, daß erst das, was im umsichtig-besorgenden Umgang mit zuhandenem »Zeug« angeeignet ist, mithin erst das, was praktisch ergriffen ist, zum »Worüber« in der Aussage werden kann, greift er die abendländische Logosmetaphysik an. Heidegger wird nicht müde, zu betonen, daß die idealistische Distanzierung von praktischen Zweck- und Interessenzusammenhängen aufzugeben sei. Zu erkennen, wie die Dinge »an sich« sind, ist kein theoretisches, sondern ein praktisches Problem. Denn das »hantierende gebrauchende Besorgen« hat seine »eigene Erkenntnis«, die sich weder szientistisch suspendieren noch phänomenologisch reduzieren läßt.
Auch Husserls eidetischer Fundamentalismus stützt sich ja noch auf ein Konzept, das die reine Anwesenheit der »Sachen selbst« als Voraussetzung der »Wahrheit von Aussagen« dadurch sicherstellt, daß Kontingenz phänomenologisch reduziert wird. Sehen wir davon ab, daß sich die »adäquate Evidenz« als theoretisches Ziel der vollständigen Übereinstimmung des Denkens mit dem »Ding an sich« als unerreichbar [71] erweist und daß die phänomenologische Sicherstellung der reinen Anwesenheit per Epoché eine abstraktive, den konkreten Phänomenen zuwiderlaufende Methode ist, die den Zusammenhang von Anwesenheit und Abwesenheit gewaltsam auftrennt. 26 Wichtiger scheint das sprachphilosophische Folgeproblem dieser Reduktion. Um die Wahrheit von Aussagen zu garantieren, muß Husserl nämlich mit der Evidenz aus dem sprachlogischen Bereich ausbrechen und dabei auf eine rein »ideale Sprache« rekurrieren, die die vollkommen getreue Wiedergabe einer zugleich inneren Anwesenheit und einer ideal-identischen Bedeutung garantiert. 27
Heidegger, der sich der Aporien bewußt ist, die aus den metaphysischen Voraussetzungen der Husserlschen Strategie resultieren, unterläuft mit drei strategischen Korrekturen das Husserlsche Konzept. Er entgrenzt erstens dessen präsenzmetaphysischen Wahrheitsbegriff, so daß Wahrheit kein problematischer Begriff mehr ist, er betont zweitens gegen Husserls Bedeutungsplatonismus das Primat der pragmatischen Zeug-Verweisungs- und Zeichenfunktionen vor dem reinen Bewußtsein und entlarvt drittens das reine, von allen innerweltlichen Zweck- und Interessenzusammenhängen suspendierte Selbstbewußtsein als eine metaphysische Fiktion, indem er es mit seiner Unreinheit konfrontiert – mit dem »gebrauchenden Besorgen«. So kann Heidegger an Husserls großartiger Entdeckung der intentionalen Struktur des Bewußtseins festhalten, an dem Gedanken also, daß jedes Bewußtsein »Bewußtsein von etwas« ist, und gleichzeitig den Problemhorizont reiner Bewußtseinsintentionalität durch den Bezug auf das »gebrauchende Besorgen« in Richtung auf eine pragmatische Handlungstheorie überschreiten. Denn Heideggers These, daß die praktische »Sorge« die Fundamentalstruktur des menschlichen Daseins ausmacht, die »zum Originellsten und Aussichtsreichsten gehört, was
Sein und Zeit
zu bieten hat« 28 , steht quer zur Idee eines fundierenden
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