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Heidegger - Grundwissen Philosophie

Heidegger - Grundwissen Philosophie

Titel: Heidegger - Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Tietz
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mit dieser Bestimmung des Daseins als Mitsein und der Welt als Mitwelt die wichtige Unterscheidung zwischen einer objektiven Welt, in der uns Naturgegenstände und Sachverhalte als innerweltliche Entitäten im hantierenden Umgang begegnen, und einer sozialen Welt der intersubjektiv vergemeinschafteten Subjekte, die sich auf der Ebene einer gemeinsamen Konstituierung einer für sie identischen und darum objektiven Welt treffen. Der damit erzielte Gewinn gegenüber dem monadologischen Ansatz der Bewußtseinsphilosophie bei der Erklärung von symbolisch vermittelten Interaktionen, wie er auch für Husserl konstitutiv blieb, liegt auf der Hand. Zwar geht auch Husserl bei der Erklärung dieses Phänomens auf die fundierende Schicht der Lebenswelt zurück, zwar begreift auch er alle menschlichen Leistungen als Objektivationen einer lebensweltlich organisierten Alltagspraxis. 34 Doch weil die »Konstitution der Lebenswelt« nach den Grundsätzen einer Konstitution der Erkenntnis gedacht wird, ist der Versuch einer phänomenologischen Begründung von Intersubjektivität ersichtlich paradox. Denn wie soll ich als eine Monade, als ein transzendental leistendes Ich, ein anderes Ich konstituieren und zugleich das in mir Konstituierte eben doch als ein anderes erfahren? Auch durch einen »Perspektivenwechsel« von Ego und Alter ego gelangt man nur zur Begründung einer solipsistisch-transzendentalen » [79] Monadengemeinschaft«, in der wiederum jedes transzendentale Ego jeweils nur »seine Welt« hat, nicht aber zu einer intersubjektiv geteilten »Wir-Welt« gelangt. 35 Zwat sorgt Husserls Perspektivenwechsel für eine gewisse Symmetrie zwischen Ego und Alter ego, jedoch vermag auch der Perspektivenwechsel die Immanenz der Monade nicht zu brechen.
    Heidegger ist sich dieser Paradoxie bewußt. Darum formuliert er die Aufgabe, die »Art dieses Mitdaseins in der nächsten Alltäglichkeit phänomenal sichtbar zu machen und ontologisch angemessen zu interpretieren« (SZ 116). Mit dieser Aufgabenstellung kommt der sozial-ontologische Gesichtspunkt der Fundamentalontologie in den Blick, der für die Mitseinsanalyse äußerst bedeutsam ist. Die im vierten Kapitel von
Sein und Zeit
entfaltete Analyse, die, ohne daß Husserls Name auch nur genannt wird, eine einzige Polemik gegen dessen Intersubjektivitätstheorie darstellt, sucht jenes Problem zu klären, an dem sich Husserl vergeblich abarbeitete. Dies gelingt Heidegger dadurch, daß er das Mitsein als eine intersubjektive Beziehung des Daseins zum Dasein rekonstruiert. Ausdrücklich betont er, daß nie »zunächst ein isoliertes Ich gegeben [ist] ohne die Anderen«, so daß letztendlich das »Mitsein und die Faktizität des Miteinanderseins« in einem bloßen »Zusammenvorkommen von mehreren ›Subjekten‹ « gründen. Und insofern die Seinsart des Daseins die »Seinsart des Miteinanderseins« hat, liegt überhaupt kein Bedarf vor, »eine Brücke [zu] schlagen von dem zunächst allein gegebenen eigenen Subjekt zu dem zunächst überhaupt verschlossenen anderen Subjekt« (SZ 124).
    Im Unterschied nämlich zu Dilthey, der Mitsein durch einen psychologistisch verstandenen Einfühlungsbegriff plausibel machen muß, und anders auch als Husserl, der in den
Logischen Untersuchungen
die zeichenvermittelte Kommunikation und das wechselseitige Verstehen von der einseitigen »Wahrnehmung der Kundgabe« beschreibt 36 – auch später, etwa in den
Cartesianischen Meditationen
oder in der Krisisschrift, hat sich Husserl nicht von einem Verstehensmodell [80] lösen können, das den Verstehensprozeß von einem »undeklinierbaren Ur-Ich« aus konzipiert 37 –, will Heidegger nicht nur den Verstehensbegriff von allen psychologischen Beimengungen freihalten, sondern auch, wie bereits erwähnt, das Mitsein als »Seinsverhältnis von Dasein zu Dasein« ausweisen. Heidegger, der die Weltanalyse zunächst aus dem Blickwinkel einer intersubjektiven Beziehung von Dasein zu Dasein im Mitsein rekonstruiert, weist das Mitsein als konstitutiven Zug des In-der-Welt-Seins aus und bringt damit jene Verstehensprozesse in den Blick, die den für das hermeneutische Verstehen maßgeblichen intersubjektiv geteilten lebensweltlichen Hintergrund präsent halten. Heidegger betritt quasi mit einem Schlag die Ebene der Intersubjektivität, ohne diese konstitutionstheoretisch aus den transzendentalen Leistungen einzelner Subjekte aufbauen zu müssen. Er vertieft damit die phänomenologische Intersubjektivitätstheorie, indem

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