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Heidegger - Grundwissen Philosophie

Heidegger - Grundwissen Philosophie

Titel: Heidegger - Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Tietz
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er die Weltanalyse aus dem Blickwinkel einer intersubjektiven Beziehung erläutert, die das Ich mit anderen eingeht. Denn die Lebenswelt, die gleichsam in den Strukturen der sprachlich vermittelten Intersubjektivität aufgehängt ist, reproduziert und erhält sich über dasselbe Medium, in dem sich sprach- und handlungsfähige Subjekte miteinander über etwas in der Welt verständigen. Und dennoch bleibt Heidegger der Gefangene der Husserlschen Strategie.
    Zwar wird die von Husserl beibehaltene Sonderstellung eines vermeintlich vor-intersubjektiven Selbstbewußtseins als Fiktion entlarvt, das epistemisch reduzierte Subjekt der Erkenntnistheorie in die nichthintergehbaren Bewandtnis- und Verweisungszusammenhänge der Lebenswelt entlassen und den Bedingungen innerweltlicher Existenz und geschichtlicher Faktizität unterworfen. Die gesamte neuzeitliche Erkenntnistheorie seit Descartes muß sich ja den Vorwurf gefallen lassen, von einem Subjekt in Gestalt des »Ich denke« auszugehen, das weder eine Welt noch eine Mitwelt hat, was eben auch Husserl betrifft, der das transzendentale Ego durchaus in der Welt situiert, gleichzeitig aber, schon um sich die Möglichkeit einer [81] »universellen Kritik« offenzuhalten, die Lebenswelt und damit die intersubjektive Beziehung zwischen Ego und Alter ego konstitutionstheoretisch von einem »Ur-ich« aus begreifbar machen will. Gleichwohl vermag Heidegger nicht, sich von den Vorgaben der phänomenologischen Intersubjektivitätstheorie zu lösen. »Daß die Mitseinsanalyse die Intersubjektivitätstheorie trotzdem nur wiederholt und nicht überwindet, gründet in ihrer transzendentalphilosophischen Konzeption, im Ausgang vom Entwurf als der transzendentalen Konstitution der Welt.« 38
    Dies hängt mit der Fassung der anderen zusammen, die näher bestimmt als das »Man« erscheinen. Die »Öffentlichkeit« ist eine verdurchschnittlichte Öffentlichkeit, die nicht durch Zusammengehörigkeit, sondern gerade durch »Abständigkeit« charakterisiert sein soll und die in dieser »Durchschnittlichkeit« nur die Durchschnittserwartungen von jedermann erfüllt – womit das als »Neutrum« charakterisierte »Man« alle positiven Seinsmöglichkeiten des Daseins einebnet. Diese Interpretation des als »Neutrum« kategorisierten »Man« hat für Heideggers Sozialontologie verhängnisvolle Konsequenzen. Denn das »
Man-selbst
«, das »Selbst des alltäglichen Daseins« (SZ 129), ist das von der Welt und dem Mitdasein anderer im »Man« völlig überformte und daher uneigentliche Selbst. Eigentliches Dasein, das negativ die Geltung der »objektiven Wir-Welt« außer Kraft setzt und positiv den transzendentalen Welthorizont und somit auch den »Sinn von Sein« freilegen soll, soll nämlich ein von der Herrschaft der anderen befreites Dasein sein. Und dieses, so erfahren wir bei Heidegger, existiert nur in der »Vereinzelung«.
    Mit dieser Fassung des Mitseins geht der Gewinn gegenüber der phänomenologischen Intersubjektivitätstheorie sofort wieder verloren. Dadurch, daß Heidegger die Strukturen des lebensweltlichen Hintergrundes, die über das »je meine« Dasein hinausreichen, als Strukturen einer verdurchschnittlichten Alltagspraxis beschreibt, die lediglich als Kontrastfolie für die eigentliche Existenz dienen, kann die Mitseinsanalyse für [82] die Frage, wie sich eine intersubjektiv geteilte Welt konstituiert und erhält, nicht fruchtbar gemacht werden. So gelingt es Heidegger in einem ersten Schritt, die Weltanalyse aus dem Blickwinkel einer intersubjektiven Beziehung von Dasein zu Dasein im Mitsein zu rekonstruieren, womit zunächst ein Perspektivenwechsel von der einsamen Zwecktätigkeit zur sozialen Interaktion verbunden ist. Da er jedoch in einem zweiten Schritt das solipsistisch angesetzte Dasein »als Seiendes, das je ich selbst bin«, gegenüber dem Mit-Dasein in Front gehen läßt, ja dieses Mit-Dasein einschließlich des lebensweltlichen Hintergrundes als durchschnittliche und durchweg defiziente Alltagspraxis entwertet, wird er auf die Husserlsche Ausgangslage zurückgeworfen.
    Darum muß Heidegger plausibel machen, wie auf der Grundlage der Vereinzelung nun wieder ein Miteinandersein ermöglicht wird. Jetzt geht es allerdings um ein Miteinandersein, das im Vergleich zum alltäglichen sich als eigentliches erweist (SZ 298) – nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird diesen Part das zur Eigentlichkeit hochstilisierte Volk übernehmen. Jener Nachweis jedenfalls

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