Heidelberger Lügen
erklärte Liebekind der mächtigen schwarzen Zigarre, die er zärtlich zwischen Daumen und Zeigefinger seiner Rechten rollte. Das Herumfummeln und Schnuppern an Zigarren, die er niemals ansteckte, war seine große Leidenschaft. Ob er noch andere hatte, wusste ich nicht. Theresa verbat sich jede Frage zu ihrer merkwürdigen Ehe. Dass die beiden sich seit Jahren körperlich nicht mehr sehr nahe kamen, war ein offenes Geheimnis für mich. Ihr Körper gehörte mir, der Rest diesem beleibten, gutmütigen Hünen, der mir gegenübersaß und schmunzelte wie der Weihnachtsmann vor der Bescherung.
Behutsam legte Liebekind die Zigarre auf den Tisch. Dann sah er mir ins Gesicht.
»Ich werde auf eine Tagung fahren, an der Polizei-Führungsakademie in Münster. Und bei dieser Gelegenheit werde ich dort auch Verschiedenes zu besprechen haben. Ich möchte Ihnen gegenüber kein Geheimnis daraus machen, denn schließlich haben wir beide ja keine Geheimnisse voreinander, nicht wahr?«
Er lachte dröhnend, und ich versuchte, es ihm gleichzutun, obwohl ich keinen Schimmer hatte, was an dieser Bemerkung spaßig sein sollte.
»Man hat mich nämlich gefragt, ob ich nicht eine Vorlesung halten möchte über Polizei- und Verwaltungsrecht. Ich habe lange überlegt, schließlich bin ich nicht mehr der Jüngste. Aber ich denke, ich werde es machen. Das bleibt aber bitte unter uns. Noch ist es nicht endgültig.«
Sein erwartungsvoller Blick ruhte auf meinem Gesicht. Ich gab mir Mühe, beeindruckt zu wirken. Liebekind war promovierter Jurist und mit seiner besonnenen Art und kräftigen Stimme sicherlich kein schlechter Dozent.
»Es geht Ihnen doch gut?«, fragte er plötzlich besorgt. »Sie sind so blass.«
Ich winkte ab. »Bin ein bisschen übernächtigt. Diese Leiche im Neckar letzte Nacht. Mir fehlt Schlaf, weiter nichts.«
»Sie können es nicht lassen, was?« Amüsiert schüttelte er den schweren Kopf mit dem silbernen Haarkranz. »Ich hatte eigentlich erwartet, dass Sie sich irgendwann mit Ihrer Position als Papiertiger abfinden würden. Aber da habe ich mich wohl getäuscht. Sie scheinen immer noch Spaß daran zu haben, nachts in der Kälte herumzustehen und sich eklige Dinge anzusehen.«
Ich nickte schuldbewusst. Was sollte ich sagen?
»Nun gut, Sie sind alt genug zu wissen, was Sie tun.« Liebekind nahm seine Zigarre wieder in die Hand und schnüffelte mit verzücktem Blick daran. »Solange ich abwesend bin, möchte ich, dass Sie mich vertreten und ein wenig nach dem Rechten sehen. Falls Sie mich brauchen, Frau Ragold hat meine Nummer. Es ist aber nicht nötig, dass Sie mich wegen jeder Kleinigkeit behelligen. Sie wissen, ich habe vollstes Vertrauen zu Ihnen. Sie sind jetzt fast ein halbes Jahr bei mir, und ich darf sagen, ich habe meine Entscheidung noch keine Sekunde bereut.«
Er strahlte mich an wie ein Vater, der seinem Jungen das erste Fahrrad schenkt und nun, verdammt nochmal, glänzende Kinderaugen sehen will.
Wenn du wüsstest, dachte ich und sagte: »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
Es war die volle Wahrheit.
Während ich zu meinem Papierkram zurückkehrte, kam mir eine Idee, die mit Liebekinds Abwesenheit und einem gewissen Schlosshotel am Neckar zu tun hatte. Sowie ich am Schreibtisch saß, wählte ich Theresas Nummer auf meinem Handy. Aber die Teilnehmerin war noch immer nicht erreichbar. So hinterließ ich nur einen gespielt fröhlichen Gruß auf ihrer Voicebox. Dieses Mal war sie wirklich ungewöhnlich lange böse mit mir.
Mit meinen Akten ging es mir wie meinen Töchtern mit Hausaufgaben: Nie räumten sie mit solcher Freude ihr Zimmer auf, wie wenn sie eigentlich für eine wichtige Klassenarbeit lernen sollten. So begann ich, erst einmal Ordnung auf meinem Schreibtisch zu schaffen. Einiges, was erledigt war oder sich selbst erledigt hatte, ließ ich durch Sönnchen ins Archiv schaffen. Anderes, worauf ich im Augenblick am wenigsten Lust hatte, räumte ich in das Regal. Manches gab ich Sönnchen für die Wiedervorlage, damit ich es aus den Augen hatte. Ein paar Kleinigkeiten erledigte ich auf die Schnelle. Am Ende blieb die Statistik, auf die man in Stuttgart so sehnsüchtig wartete. Als ich endlich damit beginnen wollte, die Zahlen in meinen Laptop zu tippen, klopfte es.
Balke brachte Neuigkeiten im Fall McFerrin. Die armen Kollegen, denen er die Aufgabe aufs Auge gedrückt hatte, im Regen die Neckarufer abzusuchen, waren fündig geworden. Auf dem um diese Jahreszeit verlassenen Campingplatz
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