Heidelberger Lügen
Krieg!«
Natürlich hatte er Recht. Ich hätte ihn vorwarnen müssen. Ein guter Vorgesetzter gibt auch einmal einen Fehler zu, hatte ich gelernt, also bat ich ihn um Entschuldigung.
»Was sollte das eigentlich? Weshalb hat er sich so aufgeregt?«, fragte er eine Spur milder.
Ich berichtete von meinem Versuchsballon.
»Und was haben Sie sich davon versprochen, wenn ich fragen darf?«
Das wusste ich plötzlich selbst nicht mehr. Ich wollte Hörrle aus der Reserve locken, und es wäre um ein Haar schief gegangen. Schlauer waren wir dadurch nicht geworden, da musste ich Balke leider zustimmen.
Er grunzte etwas, was nicht freundlich klang. »So kann das nicht mehr lange weitergehen«, maulte er. »Irgendwas muss jetzt endlich passieren.«
»Haben Sie einen Vorschlag?«
»Na klar: Wir stürmen. Heute noch.«
»Der läuft uns nicht weg. Warum heute?«
»Weil Freitag ist, darum. Weil ich nicht die geringste Lust habe, mir von diesem Idioten schon wieder das Wochenende versauen zu lassen!«, blaffte er.
»Warum sind Sie denn nur so grantig in letzter Zeit?« Ein guter Chef interessiert sich auch hin und wieder für die Gemütslage seiner Untergebenen.
»Das ist ja wohl meine Privatangelegenheit«, erwiderte Balke und legte auf.
Als ich vom Essen zurückkam, übergab mir Sönnchen eine Telefonnotiz.
»Was will denn die Autobahnpolizei von mir? Bin ich etwa zu schnell gefahren?«
»Das hat er nicht gesagt.«
Noch im Stehen wählte ich die angegebene Nummer. Ein Oberkommissar mit grober Stimme und kurpfälzischem Dialekt meldete sich, dessen Namen ich auf Sönnchens Zettel als »Grunzkopf« entzifferte.
»Es geht um diesen weißen Daimler, den ihr sucht. Wo hab ich denn jetzt bloß wieder dieses Fax gelassen …«
Ich nannte ihm das Kennzeichen von McFerrins Wagen aus dem Gedächtnis.
»Richtig, um den geht’s. Da hab ich nämlich hier was für euch. Ein Foto. Der ist Anfang Februar geblitzt worden. In der Nacht, wo er verschwunden ist.«
Ich setzte mich langsam. »Und zwar wo?«
»Das kann ich Ihnen sagen: Auf der A 5, kurz vor dem Walldorfer Kreuz.«
»Das Walldorfer Kreuz liegt südlich von hier. Sind Sie absolut sicher?«
Er war ernstlich beleidigt. »Ich werd doch noch wissen, wo unsere Blitzkisten stehen!«
»Wann genau war das?«
»Wir haben da derzeit eine Baustelle mit Geschwindigkeitsbegrenzung auf achtzig. Und er hat über hundertzwanzig draufgehabt.« Ich hörte Papier rascheln. »Ah, wer sagt’s denn. Bei uns kommt nichts weg. Am Dienstag, den zweiten Februar ist das gewesen, morgens um zwei Uhr siebenunddreißig, wenn Sie’s ganz exakt wissen wollen.«
»Kann man den Fahrer auf dem Foto erkennen?«
»Das nicht«, erwiderte er lahm. »Er hat eine Mütze auf. So eine Baseball-Kappe. Das Gesicht ist im Schatten.«
»Groß, klein, dick, dünn?«
»Groß ist er nicht. Dick auch nicht. Eher schmal und klein.«
Ich bat diesen lautstarken Gemütsmenschen, mir sein Foto auf dem schnellsten Wege zukommen zu lassen, warf den Hörer auf den Apparat und schwang meine Füße auf den Schreibtisch. Seit dem Mord waren nun elf Tage vergangen, und wir standen wieder am Anfang.
Wenn ich überhaupt nicht mehr weiter weiß, dann fange ich in der Regel noch einmal von vorne an. Was wussten wir überhaupt? Was waren die Fakten?
McFerrin hatte eine halbe Stunde vor Mitternacht in Mosbach getankt. Selbst wenn er gemütlich fuhr, hatte er spätestens um zwölf die Stelle passiert, wo der Mörder später seine Leiche im Neckar versenkte. Aber der Mord war nicht zu diesem Zeitpunkt geschehen. Zwei Nachbarn sagten übereinstimmend aus, McFerrin sei eine Stunde später wieder in seiner Wohnung gewesen. Was hatte er dort gewollt? Warum hatte er sie anschließend noch einmal verlassen? Und was war geschehen in diesen eineinhalb Stunden bis zu dem Augenblick, als sein Wagen die Radarfalle auf der Autobahn passierte? Oder – ich nahm die Füße vom Tisch – sollte es etwa gar nicht McFerrin gewesen sein, der sich spätnachts in seiner Wohnung herumtrieb?
Horst Küpper, der pensionierte Finanzbeamte, hatte lediglich Licht gesehen in McFerrins Wohnung. Die Frau im Erdgeschoss hatte natürlich angenommen, es seien die Schritte des Wohnungsinhabers, die sie hörte. Was, wenn es gar nicht McFerrin war, sondern sein Mörder? Der etwas suchte? Etwas, weshalb McFerrin hatte sterben müssen?
Mein Laptop summte. Im Vorzimmer telefonierte Sönnchen, nach ihrem Tonfall zu schließen, privat. In der Ferne klingelte
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