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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Spitze des Schraubenziehers auf das linke Schloss, mein Ohr an das andere Ende und machte mich an die Arbeit.
    Es ging nicht.
    »Könnten Sie bitte Ihren Sohn beruhigen?«, fragte ich, nachdem ich eine Weile erfolglos herumprobiert hatte. »Ich kann nichts hören.«
    »Was gibt’s denn da zu hören?«, wollte sie neugierig wissen.
    »Bitte.«
    Sie ging hinaus, hob Björn aus seinem Gefängnis, sprach leise auf ihn ein und begann, mit ihm auf und ab zu gehen. Jetzt endlich hörte ich das feine Klicken des Schlosses, wenn eine Ziffer stimmte. Eine Minute später war der Koffer offen. Ich legte ihn hin und klappte den Deckel hoch. Mit ihrem Söhnchen auf dem Arm trat Vanessa Kriegel hinzu und schrie leise auf. Aus falsch verstandener Solidarität begann Björn wieder zu brüllen, was seine kleinen Lungen hergaben.
    Der Koffer enthielt Geld. Nichts als Geld. Dollars. Keine Ahnung, wie viele. Noch nie hatte ich eine solche Menge Scheine auf einem Haufen gesehen. Ich tippte auf eine Million oder mehr. Vielleicht sogar viel mehr.
    »Um Gottes willen«, flüsterte sie, plötzlich kreidebleich. »Um Gottes willen!«
    »Ihrem Mann gehörte dieses Geld wohl eher nicht, nach allem, was Sie mir über ihn erzählt haben.« Ich zwang mich, nicht mehr wie ein Idiot in den Koffer zu starren. »Er hat in diesem Hotel vermutlich …« Es gelang mir gerade noch, den Namen Diana Gold-Fehrenbach nicht zu erwähnen. »Er muss jemanden getroffen haben, dem er das Geld übergeben sollte. Wen? Und wofür?«
    Vanessa Kriegel sank wieder auf das Bett und begann ohne Hemmung zu weinen. Ich verschloss mit ungeschickten Fingern den Aktenkoffer, trat ans Fenster, sah hinaus in diesen trostlosen, von niemandem geliebten Garten im blassen Winterlicht. Das Wimmern der Frau hinter mir erinnerte an die Töne, die verlassene Welpen machen. Björn schien zu spüren, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Gebrüll war.
    Nein, Kriegels Geld konnte das wirklich nicht sein. Wessen sonst? Sein Arbeitgeber stand damals kurz vor der Pleite. Diana Gold-Fehrenbach hatte für eine Unternehmensberatung gearbeitet, die potente Investoren beriet. Irgendwo hier musste die Lösung liegen. Wollte jemand innerhalb der Analytech den Verkauf an die SETAC mit allen Mitteln verhindern? Aber wozu, zum Teufel, dann das Geld? Sollte die Beraterin bestochen werden? Oder sollte diese das Geld nur entgegennehmen, um damit einen Dritten zu bestechen? Handelte es sich um eine Anzahlung für irgendetwas? Wenn ja, wofür? Oder andersherum: Waren die Scheine in diesem Koffer womöglich Schmiergeld für einen korrupten Beamten, der die Übernahme der Firma zu genehmigen hatte? Gab es überhaupt eine Behörde, die bei solchen Geschäften zu entscheiden hatte? Das Kartellamt vielleicht?
    Draußen trieb der Wind verdorrte Blätter über gelbes, lange nicht gemähtes Gras. Mir wurde bewusst, dass es still geworden war.
    »Meine Mutter ist so krank«, flüsterte Vanessa Kriegel plötzlich. »Wenn ich nur wüsste, wie es jetzt weitergehen soll. Bei der Arbeit habe ich gesagt, ich habe die Grippe. Aber wie lange soll das gehen? Die fackeln nicht lange, wenn man nicht arbeiten kann.«
    Die magere, verheulte Frau in ihrem billigen Kleidchen musste schon seit Minuten meinen Rücken angestarrt haben. Ich zog den Stuhl heran und setzte mich ihr gegenüber.
    »Haben Sie schon mal mit dem Sozialamt gesprochen? Die sind doch für solche Fälle zuständig.«
    »Ich will das nicht. Ich kann arbeiten. Ich komme schon zurecht. Ich bin immer zurechtgekommen.«
    Plötzlich imponierte mir diese kleine Frau. Da sie standhaft zu Boden sah, lächelte ich an ihrer Stelle ihren Sohn an. Er strahlte zurück und strampelte begeistert.
    Nun musste ich mit der Sprache heraus. »Frau Kriegel«, begann ich und sah ihr aufmerksam ins Gesicht, damit mir keine Veränderung ihrer Miene entging. »Es gibt leider gewisse Gründe, die mich befürchten lassen, dass Ihr Mann nicht verunglückt ist. Es kann sein, dass er umgebracht wurde. Hat er jemals etwas gesagt von einem Spezialauftrag? Von mehr Verantwortung, höherem Einkommen?«
    »Nein.« Apathisch schüttelte sie den Kopf. »Nie. Aber ich habe es Ihnen doch schon gesagt: Er war ganz aus dem Häuschen, so aufgedreht. Deshalb hab ich ja auch gedacht, da war vielleicht eine andere Frau. Eine Hübschere als ich. Eine, die schlauer ist. Eine, die kein Kind hat, das dauernd schreit.« Sie überlegte. »Aber das ist vielleicht wichtig für Sie: Ein paar Mal hat er

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