Heidelberger Lügen
telefoniert, wenn er geglaubt hat, ich merke es nicht. Wenn ich gefragt habe, dann hat er nur den Kopf geschüttelt und irgendwas gebrummt.«
Immerhin so etwas wie eine Spur. Allerdings hatten wir keine Chance mehr herauszufinden, mit wem Kriegel damals telefoniert hatte. Die Telefongesellschaften speicherten ihre Vermittlungsdaten nur neunzig Tage lang.
»Er hat doch bestimmt hin und wieder von seiner Arbeit erzählt.«
Endlich sah sie auf. Aber ihr Blick ging durch mich hindurch. »Nur so allgemein. Dass es anstrengend war, wenn es Ärger gab. Oder wenn sie einen Erfolg hatten. Ich habe ja nichts von dem verstanden, was er gearbeitet hat. Drum habe ich doch immer solche Angst gehabt, dass er irgendwann genug von mir hat und sich eine andere sucht und mich mit dem Kind sitzen lässt.«
»Wie war denn Ihre Ehe so?«
Ihre Augen wurden groß und wieder klein. »Wie andere auch. Normal. Wir sind ja auch noch nicht so lang verheiratet gewesen.«
Euphorisch klang das nicht.
»Worüber haben Sie miteinander gesprochen, an den Abenden?«
Sie musste tatsächlich nachdenken. »Meistens ist er ja sowieso nicht vor acht, halb neun heimgekommen. Und dann … über das Kind, was wir am Wochenende machen und so.«
Björn zupfte an ihren Haaren. Sie schien es nicht zu bemerken.
»Und was haben Sie an den Wochenenden gemacht?«
Ein winziges Lächeln spielte um ihre Augen. »Meistens sind wir spazieren gefahren. In den Odenwald, in die Pfalz, mal nach Stuttgart, in die Wilhelma. Mit dem Kind kann man ja nicht so viel machen. Aber es war oft schön.«
Ich erhob mich und ergriff den Koffer. »Sie haben vermutlich nichts dagegen, wenn ich den erst mal wieder mitnehme?«
Sie reagierte nicht. Sie sah mich nicht. Sie drückte ihr Kind an sich, als wäre es das Einzige, woran sie sich noch festhalten konnte. Erst jetzt erkannte ich, an ihren verschmierten Augen, dass sie sich heute ein wenig geschminkt hatte.
Ich zog die graugrün gestrichene, klemmende Haustür hinter mir ins Schloss. Drinnen war es immer noch still. Auf der Autobahn rauschte gleichmäßig der Verkehr.
16
Wie ich befürchtet hatte, war der Andrang bei der Pressekonferenz beträchtlich. Unser großer Besprechungsraum konnte die Menge kaum fassen. Einige spät Gekommene saßen sogar zu meinen Füßen am Boden. Frau Doktor Steinbeißer verlas in gewichtigem Ton eine wohlklingende Erklärung ohne jeden Inhalt. Auch Liebekind sprach einige allgemeine Worte, und anschließend beantwortete ich als der verantwortliche Ermittlungsbeamte tapfer und möglichst nichts sagend Fragen, deren einziges Ziel es war, mir Sensationen zu entlocken. Ich freute mich auf den Moment, wenn es vorbei sein würde. Aber die Blitzlichter hörten nicht auf, ich zählte fünf Fernsehkameras, die auf mich gerichtet waren, und deren Scheinwerferlicht mich nervös machte. Während ich sprach, überlegte ich die ganze Zeit, ob meine Krawatte gerade hing.
Schon nach wenigen Minuten begann ich zu schwitzen. Die Oberstaatsanwältin blätterte konzentriert in einer Akte. Liebekind schmunzelte vor sich hin. Allein der Anblick dieses freundlichen Riesen musste den Leuten klar machen, dass keinerlei Grund zur Beunruhigung bestand. Als die Fragen endlich spärlicher und die Medienleute unruhig wurden, kam mir ein Gedanke. Die Ersten erhoben sich schon, da zog ich das Mikrophon noch einmal heran.
»Meine Damen und Herren, eines ist vielleicht noch von Interesse für Sie. Wir haben inzwischen Indizien dafür, dass Vitus Hörrle auch Dean Morris McFerrin ermordet hat.«
Plötzlich war es wieder still im Saal.
»Diese Wasserleiche aus dem Neckar?«, fragte eine zu stark geschminkte Frau in der vordersten Reihe. »Darf man fragen, welche Indizien das sind?«
»Es gibt gewisse Hinweise. Mehr möchte und kann ich im Augenblick nicht dazu sagen.«
Liebekind guckte verdutzt, die Oberstaatsanwältin hatte ihre Akte zugeklappt und schien sich auszumalen, wie sie mich später zur Schnecke machte. Aber ich hatte meine Argumente schon parat. Ich fand meinen Geistesblitz brillant.
»Und morgen Abend sehen wir uns also zum Essen, hat mir meine Frau erzählt«, sagte Liebekind, als wir endlich allein waren, und klopfte mir auf den Rücken, als wäre ich sein Pferd.
»Wenn alles gut geht«, brachte ich heraus, als ich wieder Herr meiner Stimme war. Was, zur Hölle, hatte Theresa mir da nur eingebrockt? Hatte ich sie nicht ausdrücklich gebeten, mir ein wenig Zeit zu verschaffen? Warum nun doch schon
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