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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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der Klinik entfernt.
    Es war wie so oft: Am Anfang hagelt es Informationen. Man kann gar nicht so schnell mitschreiben, wie alles auf einen einstürzt. Und dann, plötzlich, hört es auf. Alle Zeugen haben ausgesagt, alle Spuren sind gesichert, aber noch nicht ausgewertet, die notwendigen Maßnahmen und Fahndungen sind veranlasst. Und mit einem Mal ist Schluss.
    So war es an diesem Montag gegen sechzehn Uhr. Die Spurensicherer meldeten sich mit bescheidenem Ergebnis zurück, die Asservate wanderten in die Labors, meine Leute machten sich daran, Ordnung in ihre Notizen zu bringen, Zusammenhänge zu finden, verdächtige Lücken aufzuspüren.
    Als ich mich zu langweilen begann, erklärte ich meiner Sekretärin, ich würde für eine Weile verschwinden. »Operative Fallanalyse, falls jemand nach mir fragen sollte.«
     
    Südlich von Rohrbach bog ich irgendwo falsch ab, geriet im Feierabendverkehr auf eine breite Straße, wo man nirgendwo wenden konnte, und landete schließlich in der Nähe von Leimen, wo es mir endlich gelang, die Fahrtrichtung zu wechseln. So war es schon nach fünf Uhr, als ich meinen Peugeot-Kombi vor dem Hochhaus im Emmertsgrund abstellte. Ein paar Kaugummi kauende Halbwüchsige beobachteten interessiert meine Schritte, als ich auf das Haus zustrebte, und taxierten vermutlich schon den Wert meines Wagens. Ich ging noch einmal zurück, legte das Polizei-Schild aufs Armaturenbrett und hoffte, dass es half.
    Der Hausmeister war sichtlich erleichtert, dass ich allein in Patrick Grotheers Wohnung sein wollte. Ich schloss die Tür hinter mir und sah mich um. Schon auf den ersten Blick war erkennbar, dass der Mensch, der sich hier eingerichtet hatte, über Geld, aber nicht über Geschmack verfügt hatte. Alles hier war teuer, nichts passte wirklich zusammen, obwohl das meiste in schlichtem Weiß gehalten war. Eine filigran wirkende Couchgarnitur war um einen viel zu schweren Marmortisch gruppiert, das breite, mit champagnerfarbenem Satin bezogene Bett dominierte den Raum. Das Blut hatte man noch nicht entfernt. So waren überall diese schwarzen Flecken, deren Anblick mir schon wieder den Magen umdrehen wollte. Aber dieses Mal würde ich stark bleiben.
    Zum Glück hatte man die Terrassentür offen gelassen, sodass der Verwesungsgeruch erträglich war. Von Westen trieben schwere Wolken heran. Noch hatte es nicht abgekühlt, aber es würde wohl Regen geben heute Nacht.
    Rechts neben der Glasfront standen ein schlichter Tisch und zwei Stühle. An den Wänden hingen ein paar Poster, künstlerisch gemeinte, aber pornographisch geratene, grobkörnige Akt-Fotos. In der Kochnische das, was ein Junggeselle braucht, um sich ein Schnellgericht aufzuwärmen und die dazugehörige Flasche zu öffnen. Ein paar ohne Verstand zusammengekaufte Gerätschaften, die sichtlich selten oder nie benutzt wurden.
    Im Bad eine sinnlose Anhäufung von Hygieneartikeln. Ein After-Shave von Boss, ein Deo von Adidas, ein vielleicht vergessenes Damenparfüm von Fendi. Unter dem Waschbecken eine Packung billige Zahnbürsten, vermutlich für unvorhergesehen übernachtenden Damenbesuch. Im zweiten Raum, der offenbar als Abstellkammer diente, ein Chaos von Kartons und Koffern mit und ohne Inhalt. Hingeworfene Kleidungsstücke, abgelegte Schuhe, ein paar Bücherstapel, für die sich im anderen Raum kein Platz mehr gefunden hatte.
    Ich ging in den Wohn- und Schlafraum zurück, nahm mir einen der Stühle und setzte mich mit dem Rücken zur Fensterfront. Zwei Meter vor mir stand nun das breite Bett, auf dem Patrick Grotheer vor fünf Tagen verblutet war. Überall erinnerten diese schwarzen Flecken an das, was hier geschehen war. Auf dem Bett, darum herum, auf den Couches, wo es der Täter mit Bedacht verteilt hatte.
    Operative Fallanalyse – eines dieser wohlklingenden, modischen Worte für das, was gute Kriminalisten seit jeher tun. Sich mit dem Tatort unterhalten und der Geschichte lauschen, die er uns erzählt. Genauer: der Geschichte, die der Täter uns durch seinen Tatort erzählt. Wir müssen nur seine Sprache verstehen, uns auf ihn einlassen, Geduld haben. Es gibt Fälle, da ist der Tatort zufällig gewählt. Das Opfer ist irgendwo auf seinen Mörder getroffen. Dann sagt uns der Tatort wenig, außer dass beide sich natürlich aus irgendeinem Grund dort aufgehalten haben, was auch schon wieder viel sein kann.
    Hier war es anders. An diesem Tatort war nichts Zufälliges. Dieser hier war mit Bedacht gewählt. Warum? Weil das Opfer hier zu einem

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