Heidelberger Requiem
ablieferten, schienen nüchtern und soweit in Ordnung zu sein. So beließ ich es bei einem milden Donnerwetter, trug ihnen auf, am nächsten Tag ihr Zimmer gründlich aufzuräumen und zu überlegen, was von ihren Schätzen sie wegwerfen wollten. Ich erzählte ihnen etwas von starken Pflanzen, die nicht in Gewächshäusern wuchsen. Sie musterten mich verwirrt und gaben mir sicherheitshalber in allen Punkten Recht. In der Nacht träumte ich von Marianne Schmitz, die ich in Gedanken schon beim Vornamen nannte, und am Morgen musste mein Schlafanzug in die Wäsche. Während ich die Maschine lud und einschaltete, wurde mir bewusst, dass die Frau, die in meinem Traum natürlich nackt und überaus gelenkig gewesen war, eine Perlenkette getragen hatte.
Ich pappte den Zwillingen einen Zettel an den Kühlschrank, dass sie die Wäsche aufhängen sollten, bevor sie sich ans Aufräumen machten, und daneben eine Einkaufsliste zur überfälligen Auffüllung unserer Vorräte. Ich hoffte, dass sie vor Ende der Ladenöffnungszeit aus den Betten fanden.
Der erste Lichtblick dieses Dienstags war ein Blumensträußchen, das mir Sonja Walldorf zusammen mit den Croissants und dem Kaffee auf den Schreibtisch stellte. »Damit’s nicht gar so kahl ist bei Ihnen«, wie sie zart errötend meinte.
Ich erfuhr, dass es um zwölf Uhr eine Pressekonferenz geben würde. »Weil der Professor doch so berühmt ist, und da sind natürlich alle aufgeregt und wollen alles ganz genau wissen.«
»Noch was, Frau Walldorf«, rief ich, als sie schon in der Tür war. »Sie kennen doch bestimmt eine Menge Leute im Haus? So lange, wie Sie schon hier sind?«
Sie war sichtlich gespannt, welcher Art die Verschwörung war, an der sie teilhaben durfte.
»Ich würde gerne wissen, warum ausgerechnet ich diesen Posten gekriegt habe. Liebekind verrät’s mir nicht.«
»Ich werd mal die Hilde beim Kaffee aushorchen. Das ist seine Sekretärin. Die weiß alles«, sagte sie augenzwinkernd.
Ich trat ans Fenster und versuchte mir die Fragen auszumalen, die die Journalisten an mich richten würden, und mir gut klingende Antworten zurechtzulegen. In der Nacht hatte es ein wenig geregnet, aber inzwischen schien wieder die Sonne. Kurz vor neun klingelte zum ersten Mal an diesem Tag mein Telefon. Es war eine helle, weiche Jungmännerstimme.
»Sie waren doch gestern Vormittag im Chirurgischen Klinikum, oder? Gerlach? Kriminalrat Gerlach?«
Er schien nicht vorzuhaben, seinen Namen zu nennen, und es schien sinnlos, ihn danach zu fragen. Im Hintergrund rauschte Verkehrslärm. Ich vermutete eine Telefonzelle.
»Richtig.«
»Also, der Sohn vom Prof, der war am Montag, vor einer Woche, da war der hier. Bei der Chefin, Marianne Schmitz …«
»Das wissen wir schon.«
»Okay. Aber …« Er druckste noch zwei Sekunden herum. Dann brachte er es endlich heraus: »Der ist ganz schön lang drin gewesen bei der. Sie hat dann sogar die Tür zugemacht, und das macht sie sonst nie. Es ist verdammt laut gewesen da drin. Die haben Krach gehabt. Haben sich ganz schön gestritten, die zwei.«
»Konnten Sie irgendwas verstehen?«
»Nö. Null. Ich konnte mich da ja auch nicht so … Das wär ja aufgefallen, weil …«
Mitten im Satz legte er auf. Vermutlich, damit wir ihn nicht durch eine Fangschaltung orten konnten. Ich las die Nummer vom Display ab und ging in Gedanken alle männlichen Gesichter durch, die ich gestern in der Klinik gesehen hatte. Ich bat Frau Walldorf, sich um die Telefonnummer zu kümmern. Fangschaltungen hatten wir ja zum Glück längst nicht mehr nötig.
Zwei Minuten später wusste ich, dass der Anruf von einer Zelle am Bismarckplatz gekommen war. Keine zweihundert Meter von hier. Das ist das Schöne an Städten der Größe Heidelbergs: dass alles so nah beisammen ist.
Für zehn Uhr hatte ich eine Lagebesprechung meiner Sonderkommission angesetzt. Viel brachte sie nicht. Wie üblich hatte jeder zweite Einwohner der Stadt Patrick Grotheer in den letzten Wochen an den unwahrscheinlichsten Orten und bei den unglaublichsten Tätigkeiten gesehen. Einer schwor, er habe ihm seit Wochen die Post gebracht, ein anderer, er würde sich seit längerem Nacht für Nacht vor seinem Haus herumtreiben. Dieser Zeuge mochte auch nicht ganz ausschließen, selbst der Mörder zu sein, und bot an, einen Gentest machen zu lassen. Es war der übliche Irrsinn.
Die erste große Arbeit bei einer solchen Ermittlung besteht immer darin, den Müll auszusortieren. Berge von Müll. Das ist
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