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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Sie die Augen zukneifen. Sie brauchen eine Brille. Ich kann das mühelos lesen.«
    »Unsinn«, erwiderte ich. »Es liegt am Licht.«
    Sie hob die Schultern und wechselte das Thema. »Der Täter hat es vergraben, aber nicht tief genug. Der Hund muss das Blut gerochen haben.«
    Ich betrachtete das Fundstück, ein schlankes Springmesser aus italienischer Produktion, an dem überraschend wenig Blut klebte. Inzwischen war es natürlich in einem unserer durchsichtigen Spurenbeutel verpackt. Jemand hatte mit blauem Kugelschreiber und säuberlicher Handschrift das Aktenzeichen, eine Identifizierungsnummer und das heutige Datum in die dafür vorgesehenen Felder geschrieben. Ich bat Vangelis, das Ding sofort ins Labor zu schicken, und erntete einen mitleidigen Blick.
    »Ist das nicht merkwürdig?«, sagte sie, als sie sich erhob. »Wenn er sich schon die Mühe macht, das Messer zu vergraben, warum macht er dann nicht wenigstens das Loch tief genug?«
    »Die meisten Verbrecher sind nun mal Idioten.«
    Sie war nicht überzeugt. Als sie draußen war, wählte ich noch einmal die Nummer der Klinik. Die Oberärztin war inzwischen nach Hause gefahren. Draußen grollte ein erster Donner. Aber es regnete noch nicht.
     
    Um halb sieben ging ich ein letztes Mal hinunter. Nichts hatte sich geändert. Balke kämpfte mit der Müdigkeit, und Gardener hing auf seinem Stuhl mit den Händen auf dem Tisch wie um elf Uhr am Vormittag. Ich ließ ihn in seine Zelle bringen.
    »Bis morgen früh dann«, rief ich zum Abschied. »Ich freue mich drauf. Ist so schön ruhig mit Ihnen!«
    »Wichser«, erwiderte er müde.
    »Haben Sie das gesehen? Ist Ihnen aufgefallen, dass er hinkt?«, fragte Balke nachdenklich, als die Tür zu war. »Nur ganz leicht. Er zieht das linke Bein ein klein wenig nach.« Er wandte sich um und hob den Zeigefinger. »Das ist es vielleicht! Ich hab mir die Tatort-Skizzen und die Fotos mal genauer angeguckt. Diese verwischten Fußabdrücke, die die Spurensicherung gefunden hat, ich hab’s mal ausgemessen, die Schritte sind nicht ganz gleichmäßig. Sieht aus, als ob der Täter ein Bein nachzieht. Und zwar das linke!«
     
    Ich parkte den Peugeot in Sichtweite des Kiosks und bat Frau Brenneisen, ein Auge darauf zu haben, damit ich nicht noch ein Knöllchen zu bezahlen hatte. Zu Fuß machte ich mich auf den Weg zum nahe gelegenen Schulzentrum. Die Zwillinge mussten angemeldet werden, und erstaunlicherweise war der Schulleiter bereit gewesen, mich abends zu empfangen. Unterwegs testete ich, aus welcher Entfernung ich die Straßenschilder entziffern konnte. Es ging völlig problemlos. Natürlich brauchte ich keine Brille.
    Oberstudiendirektor Quetzke war ein griesgrämiger, stämmiger Kerl Ende fünfzig, der seinen Job verstand und ebenso missmutig wie zügig die notwendigen Formalitäten erledigte, wobei er unentwegt auf seine abwesende Schreibkraft schimpfte. Beim Unterschreiben bemerkte ich, dass ich das Kleingedruckte nur mit Mühe entziffern konnte, und am Ende der angenehm kurzen Prozedur hielt ich zwei amtliche Papiere in der Hand, die besagten, dass Louise und Sarah Gerlach künftig die Klasse 7 b des Heidelberger Helmholtz-Gymnasiums besuchten.
    Auf dem Rückweg kaufte ich mir in der Apotheke an der Ecke zur Dantestraße eine große Packung Vitamin A.
    »Probleme mit den Augen?«, fragte die honigblonde Apothekenhelferin mitfühlend.
    »Gar nicht.« Ich legte einen Schein auf den Tresen. »Ist rein prophylaktisch.«
    »Ja, ja«, meinte sie mit wissendem Lächeln und zählte aufmerksam das Wechselgeld auf einen silbernen Teller. »Schaden wird’s schon nicht.«
    Draußen schluckte ich gleich eine der dicken Pillen und fühlte mich, als hätte ich Viagra gekauft – mit der Ausrede, es sei für einen Bekannten. Ich zog den Beipackzettel aus der Schachtel, konnte aber die idiotisch kleine Schrift nicht entziffern. Die Wolken hatten sich inzwischen verzogen. Der Regen war ausgeblieben.
     
    Frau Brenneisen berichtete mir stolz, sie habe nicht weniger als zwei Politessen davon abgehalten, das Kennzeichen meines Peugeot in ihren Computer zu tippen. Zum Dank bestellte ich eine extragroße Apfelsaftschorle.
    Auf einmal fühlte ich mich ausgelaugt. Vielleicht lag es am Wetterumschwung. Frau Brenneisen tat alles, um meine Laune zu heben. Sie lobte Heidelberg im Allgemeinen und die Weststadt im Besonderen, erzählte mir von ihrer Tochter und allerlei Nichtigkeiten aus dem Leben eines wohlhabenden Stadtviertels. Die Sonne brach durch,

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