Heidelberger Requiem
langem Regen aus.
»Bloß keine Eile. Ich bin Beamter. Ich habe Zeit ohne Ende«, erklärte ich entspannt lächelnd und verschränkte die Arme vor der Brust.
Zwanzig Minuten. Er hatte seine Fingerübungen eingestellt und bewegte sich nicht mehr. Ich wippte auf meinem Stuhl und sah ihm beim Stillsitzen zu.
Um elf hatte ich genug von der Herumsitzerei und seinem Anblick. Ich übergab an Balke und arbeitete einige Akten ab, die Sonja Walldorf inzwischen auf meinem Schreibtisch deponiert hatte. Als ich auf dem Weg zum Essen noch einmal unten vorbeischaute, schwieg Gardener noch immer. Später verlangte er nach einem Glas Wasser. Um Viertel nach drei nach einem zweiten.
Inzwischen wurde sein Zimmer im Pfaffengrund auf den Kopf gestellt. Und das Kämmerchen in der Wohngemeinschaft in der Neugasse, wo er zusammen mit zwei seiner Kumpels hauste, wenn er es bei der Mutter nicht mehr aushielt. Die Adresse hatte mir einer seiner Komplizen bereitwillig genannt, der deutlich gesprächiger war als Gardener. Der hatte natürlich auch nicht viel zu befürchten, da er mit dem Mord nichts zu tun hatte, und versuchte, Pluspunkte zu sammeln.
Als ich mit meinen Akten fertig war, rief ich im Klinikum an. Seit gestern Abend war Professor Grotheer von seiner Tagung zurück. Vielleicht war es sinnvoll, ein paar Worte mit ihm zu sprechen. Er sei im Haus, hörte ich, befinde sich aber leider gerade in einer äußerst wichtigen Konferenz. Und nein, auch später würde er wohl kaum zu sprechen sein.
»Wünschen Sie einen Termin mit Herrn Professor Grotheer?«
Ich wünschte. Man wollte es versuchen. Eine Viertelstunde würde der Herr Professor wohl erübrigen können von seiner kostbaren Zeit für den Mann, der immerhin den Mörder seines einzigen Sohnes suchte. Morgen vielleicht, irgendwann.
»Und Frau Doktor Schmitz«, fragte ich mit leisem Herzklopfen, denn dies war natürlich der eigentliche Grund meines Anrufs, »könnte man die eventuell …?«
Grotheers Sekretärin hielt kurz die Hand vor den Hörer. Ich hörte Gemurmel. Dann war sie wieder dran.
»Frau Doktor Schmitz hat heute leider noch zwei OP-Termine. Das wird wohl auch nichts werden. Soll sie zurückrufen, falls sie doch Zeit findet?«
Ich meinte, so wichtig sei es auch wieder nicht, weil mir auf die Schnelle keine sinnvolle Begründung einfallen wollte.
Um halb vier betrat ich das Verhörzimmer erneut. Ich versuchte es wieder mit dem Überraschungsmoment.
»Wovon lebt eigentlich Ihre Mutter?«, fragte ich noch im Stehen.
Keine Antwort.
»Überweist Ihr Vater Geld aus Amerika? Hat sie Vermögen? Oder sind Sie es, der sie versorgt? Wenn ja, woher haben Sie es? Einer geregelten Arbeit scheinen Sie nicht nachzugehen.«
Sein Gesicht wurde unruhig. Aber er schwieg weiterhin.
Wir wechselten die Taktik. Bombardierten ihn abwechselnd mit Fragen. Wieder und wieder dieselben Fragen. Ohne Pause.
Er antwortete auf keine einzige.
10
Um Viertel vor fünf ließ ich Balke wieder mit Gardener allein und rannte in mein Büro hinauf, weil ich kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren.
Den Telefonnotizen meiner Sekretärin entnahm ich, dass eine gewisse Frau Schmitz zweimal angerufen hatte. Und außerdem hatte Klara Vangelis schon nach mir gefragt. Es sei wichtig. Das »wichtig« war doppelt unterstrichen.
Vangelis konnte warten. Mit hüpfendem Puls wählte ich die Nummer der Klinik. Aber Marianne Schmitz war schon wieder irgendwo im Haus unterwegs. Man versprach, ihr auszurichten, dass ich angerufen hatte. Sie würde sich melden.
Dann ließ ich Vangelis kommen.
»Wir haben das Messer!«, sagte sie noch in der Tür.
Fast glaubte ich, etwas wie Freude in ihren Augen blitzen zu sehen, doch es dauerte nur Augenblicke, dann zeigte sie wieder die übliche stoische Miene. Sie nahm Platz und schlug die Beine übereinander. Selbst ihre Schuhe waren sehenswert. Wieder einmal fragte ich mich, woher sie das Geld für ihre teure Kleidung nahm. Ob ihr Vater mit seiner Taverne so gut verdiente? Oder hatte sie vielleicht eine hübsche Erbschaft gemacht?
»Ein Hund hat es gefunden.« Mit geschmeidigen Bewegungen breitete sie einen Stadtplan auf dem Schreibtisch aus. »Hier, ungefähr einen Kilometer nördlich vom Tatort.«
Ihr Finger ruhte in der Nähe eines Gebäudekomplexes im Wald. Mühsam entzifferte ich, dass es sich um das Europäische Institut für Molekularbiologie handelte.
»Sie brauchen eine Brille«, bemerkte sie und faltete den Plan wieder zusammen.
»Was?«
»Wie
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