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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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damals öfter, in dem Sommer. Bei Heddesheim hinten, da gibt’s ’nen kleinen See, und …« Er verstummte.
    »Weiter.«
    »Wir Jungs haben ein Rennen gemacht. Pat war natürlich vorne. Dann ich und dann Will. Er ist der Jüngste gewesen und …«
    »Und?«
    »Hinter Dossenheim ging’s über ’ne Straße. Da war ziemlich Verkehr. Pat und ich, wir sind schon drüben gewesen. Ich hab den Laster kommen sehen, hab natürlich gedacht, Will, der sieht den auch und … und … Ich will jetzt endlich rauchen, Scheiße.«
    »Für jedes ›Scheiße‹ und jedes ›Fuck‹ wird Ihr Entzug zehn Minuten länger dauern.«
    »Leck mich, Arschloch.«
    »Für jedes Arschloch zwanzig.«
    »War gar nicht mal so schnell, dieser Laster, überhaupt nicht besonders schnell. Aber Will hat den irgendwie nicht gesehen. Wollt halt unbedingt über die Straße, weil er so weit hinten lag, der Blödmann. Und dabei haben wir doch sogar gewartet, und der hat die ganze Zeit in die falsche Richtung geglotzt, weil von da ein Traktor gekommen ist oder ein Mähdrescher, weiß nicht mehr. Und dann ist der einfach losgefahren, und …«
    »Wie alt waren Sie da?«
    »Und er hat nicht mal geschrien. Nicht mal geschrien, verstehen Sie? Ich glaub, der hat gar nichts mitgekriegt von allem. Ist vielleicht ganz okay so, dass er gar nichts gemerkt hat.«
    »Wie alt waren Sie damals?«
    »Will ist zehn gewesen, ich zwölf, glaub ich. Pat hat noch was gerufen. Der hat diesen Laster natürlich auch gesehen und … Ich, ich hab keinen Ton rausgebracht, keinen Mucks, einfach nur dagestanden und geguckt. Hab gedacht, das gibt’s ja nicht, dass der dieses Riesenteil nicht sieht und … und …«
    »Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen deshalb?«
    »Ich?« Verblüfft sah er mich an. »Wieso denn ich?«
    »So was gibt’s. Dass man sich die Schuld gibt für etwas, wofür man gar nichts kann.«
    »Das ist doch gequirlte Affenscheiße, was Sie da labern!«
    »Sie werden heute noch zum Nichtraucher werden.« Ich fischte ein Foto aus der Innentasche meines Jacketts, hielt es aber so, dass er es nicht sehen konnte. Zeit für den ersten Schwenk. Ich beugte mich vor und sah ihm in die Augen.
    »Wissen Sie, Gardener, ich bin überzeugt, dass Sie Grotheer umgebracht haben. Ich weiß sogar schon ziemlich genau, wie es abgelaufen ist. Das Einzige, was mich heute interessiert, ist deshalb die Frage, warum Sie es getan haben.« Ich schnippte das Foto auf den Tisch. »Sie kennen diesen Lappen?«
    Er sah gar nicht hin. »Nie gesehen.«
    »Dieser Lappen hat in Grotheers Mund gesteckt, damit er nicht schreit. Und er stammt aus Ihrer Yamaha, das wissen wir inzwischen. Unsere Leute im Labor haben das Ding untersucht. Sie haben Ölreste und Farbspuren von Ihrer Maschine daran gefunden. Er stammt eindeutig aus Ihrer Maschine.« Das stimmte nur halb. Die Laboranalysen waren ja noch nicht fertig. Aber ich hatte nicht den leisesten Zweifel, wie das Ergebnis lauten würde. »Warum? Warum musste er sterben?«
    Die beste Taktik für den, der verhört wird, ist das Schweigen. Wer nichts sagt, der sagt nichts Falsches.
    Er schwieg.
    »Okay. Wenn Sie nichts sagen, dann will ich Ihnen erzählen, wie es war. Sie brauchen nur zu nicken. Den Papierkram machen wir dann später.«
    Er sah auf seine kräftigen Hände, kratzte sich zwischen den Fingern, und ich erzählte ihm in knappen Sätzen, wie ich mir den Tathergang zusammenreimte. »Sie sehen also, ich weiß schon so gut wie alles. Das Einzige, was mich heute interessiert, ist das Warum. Warum haben Sie ihn umgebracht?«
    Er schwieg und machte Fingergymnastik.
    »Sie haben sich ganz schön dämlich angestellt dabei, wissen Sie das? Das spricht für eine Tat im Affekt, das ist ein Punkt für Sie. Andererseits sieht manches wieder nach Vorsatz aus. Und das passt nicht zusammen. Irgendwas verstehe ich noch nicht ganz. Warum also? Warum haben Sie Patrick Grotheer umgebracht? Und warum so? So grausam?«
    Ich ließ ihm Zeit. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Eine Viertelstunde. Er knispelte an seinen Fingernägeln. Entfernte winzige Stückchen Hornhaut an den Rändern. Kratzte sich ausgiebig am Handgelenk. Die Uhr über der Tür schob jede Sekunde den dünnen Zeiger einen Strich weiter. Vom Flur hörte man Schritte, laute Gespräche von einem Ende zum anderen. Gelächter. Über den Römerkreis quietschten in regelmäßigen Abständen Straßenbahnen. Autos stoppten vor roten Ampeln und fuhren wieder an. Der Wind hatte sich gelegt, die Wolken sahen nach

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